Bettina Windau

Preisträger 2001 der Karl-Preusker-Medaille

Deutsche Literaturkonferenz verleiht diese Auszeichnung

Frau Bettina Windau

in Würdigung ihrer Verdienste um eine zukunftsorientierte Bibliotheksarbeit im nationalen und internationalen Rahmen.

Gleichzeitig mit dieser Anerkennung für Frau Windau ehrt die Deutsche Literaturkonferenz damit die Bertelsmann Stiftung, in der Frau Windau tätig ist, für deren Verdienste um das deutsche Bibliothekswesen.

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Urkunde

Die Deutsche Literaturkonferenz verleiht diese Auszeichnung

Frau Bettina Windau

in Würdigung ihrer Verdienste um eine zukunftsorientierte Bibliotheksarbeit im nationalen und internationalen Rahmen. Gleichzeitig mit dieser Anerkennung für Frau Windau ehrt die Deutsche Literaturkonferenz damit die Bertelsmann Stiftung, in der Frau Windau tätig ist, für deren Verdienste um das deutsche Bibliothekswesen.

Berlin, den 31. Oktober 2001

Jens Sparschuh

Dr. Georg Ruppelt

Bettina Windau ist Leiterin des Bereiches Öffentliche Bibliotheken der Bertelsmann Stiftung. Die 1977 von Reinhard Mohn gegründete Bertelsmann Stiftung sah von Anfang an einen ihrer Schwerpunkte im Bereich der Öffentlichen Bibliotheken. Ihr grundlegendes Ziel ist es, als Reformwerkstatt zu fungieren, um so Theoretiker anzuregen und Praktikern bei der Verbesserung ihrer Arbeitsergebnisse zu helfen. Die Bertelsmann Stiftung stellt besonders hohe Ansprüche an die Effizienz und die Qualität ihrer Projekte. Dabei sind diese Projekte nie am grünen Tisch entstanden, sondern in Vorgesprächen mit Experten erörtert, weiter entwickelt und anschließend mit einzelnen Teilnehmern praktisch erprobt worden. Diese Einbeziehung der Praxis und damit die Offenheit zum Wandel sind ein wesentliches Element der Stiftung.
Frau Windau zeichnet seit 1991 verantwortlich für diesen wichtigen Schwerpunktbereich innerhalb der Bertelsmann Stiftung. Die Preisträgerin, die vor ihrer Tätigkeit bei der Bertelsmann Stiftung an verschiedenen Bibliotheken gewirkt hat und sich auch berufspolitisch engagierte, wird in Fachkreisen und über diese hinaus wegen ihrer fachlichen wie menschlichen Kompetenz sehr geschätzt. Dies gilt sowohl für das nationale wie für das internationale Bibliothekswesen, dem sich die Bertelsmann Stiftung in besonderer Weise verschrieben hat. Das Öffentliche Bibliothekwesen muss Frau Windau und der Bertelsmann Stiftung dankbar sein für zahlreiche Impulse, die großzügige Bereitstellung von Projektmitteln und den steten Willen, das Öffentliche Bibliothekswesen auch im internationalen Vergleich voranzubringen und zukunftsorientierte Bibliotheksplanung und -arbeit ideell wie materiell zu unterstützen.

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Laudatio für Frau Bettina Windau zur Verleihung der Karl-Preusker-Medaille am 31.10.2001 im Literaturhaus Berlin

laudationZuallererst geht mein Dank an die Deutsche Literaturkonferenz, dass sie mich wenige Wochen nach dem 20. Geburtstag des Deutschen Kulturrats, dessen engagierter Teil sie ist, zu diesem Festtag nach Berlin eingeladen hat.

Die Reden des 26. September sind kaum verklungen, neugierig-besorgte Frage: die Wirkungen und die Absichten der Reden auch, Stichwort Kulturpolitik im Zeichen der Gewalt, Stichwort deutsche Kulturstiftung?
da verleiht die Literaturkonferenz ihre schöne Karl-Preusker-Medaille zum Tag der Bibliotheken, seit 1996 schon zum sechsten Male.

Was sich vor fünf Jahren mit dem Preis an Peter Härtling kraftvoll ans Licht der Öffentlichkeit gedrängt hat und neben allen anderen Medaillenträgern zum Beispiel 1998 mit Christa Spangenberg eine herausragende Verleger-Persönlichkeit ehrt, ist nun auf dem Wege zu Bettina Windau.

Es sei an mir, die Laudatio, also eine Lobesrede auf die zu Ehrende zu halten, sprach der stellvertretende Vorsitzende Georg Ruppelt. Doch wie starten, wo alle so viel erwarten? Nun, ich liebe das Internet und ich bin Fan von Google.de, der genialischen Suchmaschine für nächtliche Streifzüge durchs Unterholz des Internet.

Und siehe da, ich fand unter dem Stichwort „Bettina Windau Bertelsmann“ am Ende der beachtlichen Hitliste das unveröffentlichte „Tagebuch einer neugierigen Bibliothekarin“, aus dem ich mir erlaube auszugsweise zu zitieren. Es wird ein Gang durch eine verblüffend aktuelle Geschichte.

1981: Liebes Tagebuch, ich habe es geschafft! Die Fachhochschule Hamburg hat mich los und ich habe den Titel: Diplombibliothekarin. Man sagt, ich sei eine kühle Blonde aus dem Norden, aber die werden mich schon noch kennen lernen! Mein Herz schlägt für die Prinzipien der Bibliothek, dieser unerschöpflichen Quelle der Neugier. Und ich habe auch gleich eine Stelle, beim Deutschen Elektronen-Synchroton hier in Hamburg. Was immer die da machen, Bücher haben sie, eine richtige Bibliothek sogar und sie brauchen mich, das ist das wichtigste!
1987: Liebes Tagebuch, ich habe es schon wieder geschafft! Ich bin frisch gebackene Leiterin der Kreis- und Stadtbücherei Unna, die Zeit des Ackerns in dieser Bibliothek in Menden ist vorbei. Jetzt bin ich Chefin, kann ich loslegen. Ach, ich kenne das, jetzt stöhnen wieder alle unter meinen vielen Ideen, und ich will doch nur aus der verstaubten Bücherei einen modernen Laden machen, an dem nicht nur wir Bibliothekare Spaß haben sollen. Die Zeit der Zettelkästen könnte auch mal irgendwann vorbei sein, da soll es schon erste Computer geben, die doch auch bei uns einzusetzen wären. Und die Kollegen vertrauen mir, der jungen Chefin und ich will und werde sie nicht enttäuschen!

1991: Liebes Tagebuch, ich habe es erneut geschafft: ich bin Bereichsleiterin bei Bertelsmann. Nein, nicht im Buchklub, in der Stiftung, dieser großartigen Einrichtung, die Geld hat und Ideen sucht. Und die habe ich, jede Menge Ideen habe ich! Die brauchen mich! Die haben bislang gar keine bibliothekarischen Fachkräfte! Schon seit 1977 unterstützt Reinhard Mohn mit seinem Stiftungs-Vermögen auch das Bibliothekswesen, seit 1984 läuft die Bibliothek Gütersloh als GmbH zwischen der Stadt und der Stiftung. Auch wenn ich es noch nicht richtig glaube, kann man vielleicht doch mit betriebswirtschaftlichen Methoden arbeiten. Dauernd liest man da etwas darüber und es tut sich zur Zeit soviel.

Sogar die Städte und die KGSt denken über eine ganz neue Sache nach: Angeblich Neue Steuerungsmodelle und etwas ganz gewagtes: Dezentrale Ressourcenverantwortung. Und hat da nicht vor zwei Jahren Nick Moore im Auftrag der IFLA etwas über Kennzahlen bei der Bewertung von wissenschaftlichen Bibliotheken geschrieben? Mensch, das müsste doch auch in kommunalen Bibliotheken klappen! Ich kenne doch aus meiner VBB-Zeit in NRW so viele Kollegen, das müsste doch als Modellprojekt funktionieren! Und wenn mich die Anfangsunsicherheit packt, dann gibt es ja Uta Claassen, die neben der Stadtbibliothek Gütersloh auch bestimmt mich unter ihre sicheren Fittiche nimmt. Denn ein bisschen mulmig ist mir ja schon in der großen Stiftung.

1992: Liebes Tagebuch, ich habe es geschafft: das Modell Betriebsvergleich an öffentlichen Bibliotheken läuft an und ich habe Projektmittel und Partner für die nächsten fünf Jahre gefunden. Aber ich muss aufpassen, Reinhard Mohn sagt immer: Projekte müssen auf Dauer ohne uns funktionieren. Dann, wenn sie zu Ende sind, muss das Gelernte von den Beteiligten auf eigene Faust weitergeführt werden.

Recht hat er, auf diese Weise habe ich in den nächsten Jahren immer wieder neue Projekte als Chance. Und sogar mehr Leute bekomme ich, die Stiftung wächst und ich werde mit ihr wachsen, ich hab noch soviel vor!

1993: Liebes Tagebuch, ich bin verblüfft. Da spricht ein württembergischer Bürgermeister, Eichert heißt der wohl, bei der ekz in Reutlingen über neue Betriebsformen in Bibliotheken und über politische Ansätze zur Verwaltungsreform. Er hat zwar noch Bedenken gegen die Betriebswirtschaft als Mittel der Bibliotheksführung, aber er spricht immerhin von Zielen für eine Bibliothek und meint nicht die Kürzungen in den Medienetats, er spricht vom störenden politischen Einfluss auf die fachliche Arbeit und von den notwendigen Änderungen bei der Qualifikation der bibliothekarischen Fachkräfte. Da machen wir noch neue Projekte daraus!

1995: Liebes Tagebuch, ich war in Spanien und sogar in Ägypten! Und ich habe viele prominente Menschen getroffen, Frau Mubarak zum Beispiel, eine tolle Frau. Jetzt machen wir zwei großartige Projekte. In Spanien gibt es jetzt eine eigene Fundacion Bertelsmann, nachdem das Unternehmen schon Jahrzehnte dort aktiv war. Jetzt sollen die öffentlichen Bibliotheken, die gar nicht so richtig im Blickpunkt der spanischen Politik in einer noch jungen Demokratie standen, wie bei uns gefördert werden. Und ich bin sogar die Signora la Presidentia, oh ja!

In Kairo ist es tatsächlich gelungen, für die wissbegierige Jugend in Ägypten eine öffentliche Bibliothek einzurichten, mit den Erfahrungen aus Gütersloh soll dort erstmals eine richtige Publikumsbibliothek entstehen. Leseförderung und Kulturangebote gerade für Jugendliche sind weltweit ein Anliegen der Bibliotheken.

Und liebes Tagebuch, das Jahr ist noch nicht zu Ende, ich habe es auch geschafft, ein Projekt Öffentliche Bibliotheken und Schulen zu starten, damit in Deutschland das Stichwort Leseförderung auch wirklich von Lehrern und Bibliotheken zusammen ausgefüllt wird. Und vielleicht mache ich das auch in ein paar Jahren in Spanien.

1996: Liebes Tagebuch: ich habe es mal wieder geschafft, das Projekt Internationales Netzwerk Öffentlicher Bibliotheken steht. Wenn wir schon in Spanien und Ägypten unser Know how einbringen und gleichzeitig von anderen lernen, warum soll das nicht in einer kleinen Gruppe von engagierten Kollegen über alle Grenzen hinaus funktionieren? Wir sind doch alle an besseren Management-Ergebnissen interessiert, also ans Werk bis nach Neuseeland und Singapur, die USA und Europa sind auch dabei.

Was mit auffällt: Immer stärker jetzt wird in der Debatte um eine effektive öffentliche Verwaltung, auch der Kulturverwaltung vom Kunden und der Dienstleistung gesprochen. Aber gibt es zwischen den Kunden und der Bibliothek nicht noch eine andere Art der Beziehung als die zwischen Angebot und Nachfrage. Bibliotheken sollen Dienstleistungen für die Bürger erbringen, aber sie sollen doch eigentlich noch viel mehr.

Konrad Umlauf sagte kürzlich dazu: Bibliotheken sind Ausdruck eines kulturellen und sozialen Zusammenhalts der Gesellschaft und eines Konsenses in der Gesellschaft. Ohne öffentlichen Einrichtungen würde dieser Zusammenhalt keine Aktionsbühne haben. In diesem Sinn sind öffentliche Einrichtungen eine identitätsstiftende Plattform. In dem Maße, in dem Bibliotheken diese Dimension ihrer Beziehungen zur Bürgerschaft vernachlässigen und sich eindimensional auf ihre Auftraggeber einerseits und ihre Kunden andererseits beziehen, verlieren sie an politischer Legitimation.

1997: Liebes Tagebuch, ich bin geschafft. Gerade haben wir den Abschluss des Betriebsvergleichs-Projektes gefeiert. Und ich habe – glaube ich – auch gut gesprochen, schon lange keine Nervosität mehr vor großen Zuhörerscharen. Ja, die Routine kommt mit der Zeit. Eichert war auch wieder da, mit dem habe ich jetzt schon einige Male den Auftakt bei einem schönen Managementseminar für Führungskräfte in Bibliotheken veranstaltet. Die Absolventen haben alle schnell tolle Positionen erreicht, die Anerkennung dieser Lehrgänge ist groß, was will man mehr? Sie werden mit dem Thema Betriebsvergleich selbstverständlicher umgehen als mancher ältere Kollege.

Auf der Abschlussveranstaltung waren sogar Stadträte dabei, die den Thesen von Professor Posse zum Umgang mit politischem Widerstand bei Veränderungen in der Verwaltung ziemlich erstaunt zugehört haben. Und Eichert, inzwischen Präsident des Bibliotheksverbandes, aber anscheinend immer noch Skeptiker gegenüber meinen Zahlen, forderte von der Politik, dass sie zunächst definieren müsse, was sie mit ihrer Bibliothek erreichen wolle. Es sei wichtiger, Inhalt und Zweck, also das Profil einer Bibliothek zu bestimmen, als Zahlen zu nennen. Und es sei wichtiger, die Kulturpolitik einer Stadt zu profilieren und die Bibliothek in ein koordiniertes Netzwerk der vorhandenen Kultureinrichtungen einzubinden, als am Medienetat herumzuschnitzen.
Na ja, aber meine Zahlen sind doch wichtig!

1998: Liebes Tagebuch: es geht wieder weiter. Jetzt habe ich mir die Bibliotheks-Filialen vorgenommen. Auch dort müssen Angebot und Organisationskraft gesteigert werden, um dem ständigen Zugriff der Politik auf die Existenz der Zweigstellen entgegenzutreten. Und dass der James Bond des sächsischen Bibliothekswesens, er heißt Flemming, Arend Flemming, mit seiner Dresdner Bibliothek bei den Projektbibliotheken dazugehört, war für mich eigentlich klar.

Immer im Dienst seiner Majestät, des Lesers, das wäre eigentlich auch für meine Arbeit ein guter Titel. Und doch weiß ich eines sicher: Die Öffentliche Bibliothek ist kein konkursfähiges wirtschaftliches Unternehmen und kann nur unter Aufgabe ihrer etablierten kulturellen und gesellschaftlichen Funktion zu einem solchen werden. Eichert hat einmal bei einer Tagung geäußert, dass Kultur- und Bildungsarbeit gesamtgesellschaftlich betrachtet keine Defizite erzeugen, sondern notwendig sind, um gemeinschaftliche Werte jenseits der monetären Betrachtung zu sichern und zu entwickeln. Recht hat er.

Aber Reinhard Mohn wollte fehlenden Wettbewerb durch Vergleiche und Kennzahlen erreichen und das klappt schon ganz gut. Selbst der Bund der Steuerzahler hat das erkannt. Und für dieses Ziel kann es noch manches Projekt geben.

1999: Liebes Tagebuch, das wird ein Jahr! Auf den Seychellen ein Bibliotheksprojekt zu starten, das war ein Mädchentraum als junge Studentin, und jetzt klappt es tatsächlich. Und eine besonders erfolgreiche Vorbereitung eines Projektes war die frühzeitige Einbindung der Zweifler und Bedenkenträger beim Thema BIX. Die Abkürzung für dem Bibliotheksindex war schon eine gute Idee, die Einbindung des DBV-Präsidenten hat auch einiges bewirkt und jetzt läuft der Index als echte Vergleichsplattform für best-practice. Na also, wenn schon das Projekt Betriebsvergleich nach der Vorgabe des großen alten Herrn einmal beendet sein muss, dann erfinden wir eben eine neue Idee zur gleichen Sache. Bloß wie die Deutsche Bibliotheksstatistik weitergehen soll, nachdem das DBI aus der blauen Liste der Förderung gekegelt wurde, wer weiß das schon? Der BIX allein kann’s nicht richten! Die Politik ist gefordert, Werte zu setzen und keine zu vernichten!

Und dann auch noch bibweb, das Internet-Trainingslager für Bibliothekare. Wenn in Finnland schon 90 % der Bibliotheken Internet-Dienstleistungen anbieten können, dann müssen wir schleunigst von unseren 40% eine Aufholjagd beginnen. Und siehe da, das Interesse ist da! Die ekz, mit der ich vertrauensvoll zusammenarbeite, macht wunderbar mit.

2001: Liebes Tagebuch, ich will ja nicht so sein! Ja, ich habe in den vergangenen 10 Jahre – Mensch, Bettina: schon 10 Jahre bei Bertelsmann!- viel an internationalen Kontakten gehabt, habe viel gesehen und viel gelernt. Warum soll das nicht auch bei anderen Kollegen funktionieren?

Das Projekt „Bibliotheksstipendien“ läuft mit tollen Partnern, na ja, noch nicht auf den Seychellen. Aber New York, Los Angeles und Helsinki sind ja auch nicht schlecht. Und wir werden alle von den Erfahrungsberichten und Umsetzungen der besten Lösungen profitieren. Das Bibliothekswesen muss sich aus der manchmal sehr lokalen Betrachtung lösen und erkennen, wie sehr wir auf der ganzen Welt mit den gleichen fachlichen wie politischen Problemen kämpfen. Ich habe es in Spanien, in Ägypten, in der ganzen Welt gesehen: Bibliotheksarbeit ist internationale Kulturarbeit für eine freie und demokratische, informierte und kritische, aber vor allem selbstbestimmte Zukunft!

Natürlich leben wir in schwierigen, angst- und hassgefüllten Zeiten weltumspannender Gefahren. Doch wehe uns, wenn unter dem Eindruck des 11. September die freie Informationsgewinnung im Internet eingeschränkt wird, nur weil einige Terroristen in öffentlichen Bibliotheken e-mails verschickt haben. Die beste Antwort auf Fundamentalismus und Extremismus ist eine stabile kulturelle Bildung und Identität der jungen Menschen. Dafür sind die Bibliotheken unersetzliche Partner, so wie die Bertelsmann-Stiftung auch, ganz nach dem Bild von Reinhard Mohn in der Festschrift zu seinem 80. Geburtstag.

Und jetzt auch noch die Einladung nach Berlin! Karl Preusker, ja den kenne ich, natürlich. Vor über 20 Jahren an der Fachhochschule in Hamburg haben sie von ihm erzählt, von dem Begründer der ersten Schulbibliothek, am 24.10.1828 ist sie mit 130 Bänden eröffnet worden. Na das haben wir in Kairo doch auch gemacht, aber erst 173 Jahre später am 21. März 1995! Mensch, war der Preusker früh dran mit seiner Idee!

Und jetzt für mich die Preusker-Medaille! Liebes Tagebuch, ganz im Vertrauen: Ob wohl mal einer auf die Idee kommt, in Spanien, Ägypten oder mindestens auf den Seychellen eine Bettina-Windau-Medaille zu verleihen. Wer weiß, was in 173 Jahren auf dieser Welt an Medaillen verliehen wird, und vor allem wofür? Für die Erfindung der digitalen Fingernagel-Fernbedienung für ein subkutan implantiertes Fernsehgerät mit 200 Programmen?

Ich frage mich manchmal sorgenvoll, ob dereinst die Menschen überhaupt noch gedruckte Information wünschen? Bilder statt Worte, das scheint um sich zu greifen, das Aufnehmen von Bildern ist so entlarvend einfach, Text stört beim Fernsehen nur! Wofür denn noch das Lesen? Digitaler Hightech- Analphabetismus, eine schlimme Vision.

Doch ich wäre nicht Bettina Windau, wenn ich aus dieser Frage nicht ein neues Projekt in der Stiftung erreichen könnte: Leseförderung in Zeiten des digitalen Fernsehrausches – internationale bibliothekarischen Ansätze zur Wieder-Entdeckung der Bedeutung einer Langsamkeit des Lernens durch Worte.
Au weia, bei Sten Nadolny geklaut, der hatte es ja mit der Entdeckung der Langsamkeit, aber er hat ja so recht. Sein Held ist nicht schneller, aber sicher am Ziel, weil er langsam ist.

Was sagt für dieses Phänomen Evelyn Hasler, die Schweizerin: Worte sind Segel für das Schiff der Zukunft!
Und die Chinesen sagen: Bücher, die nicht gelesen werden, sind ein Haufen schmutzigen Papiers.

Nein, ich werde das Segel weiter mit Rückenwind füllen, ich werde weiter dafür sorgen, dass Bücher gelesen werden. Das bin ich meiner Ausbildung als Bibliothekarin ebenso schuldig, wie der Idee von Reinhard Mohn, dem Bertelsmann-Stifter.

Und jetzt nimmt mich die Literaturkonferenz auch noch in die Pflicht, weil ich mich einfach für den Kulturauftrag des Bibliothekswesens eingesetzt habe. Na ja wenn die meinen, liebes Tagebuch! Dann fahre ich halt nach Berlin!

Ende des Zitats und Willkommen in Berlin. Ich überbringe Ihnen den Glückwunsch im Namen der ganzen Bibliotheksfamilie, liebe Frau Windau!

Dr. Christof Eichert
Oberbürgermeister in Ludwigsburg
Präsident des Deutschen Bibliotheksverbandes

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Dankrede aus Anlaß der Verleihung der Preusker-Medaille 2003

windau1Rede von Bettina Windau

Sehr geehrte Damen und Herren,

als ich vor fast genau elf Jahren zum ersten Mal das Büro von Reinhard Mohn betrat, hatte ich im Gepäck eine bibliothekarische Ausbildung, eine gewisse Berufserfahrung, viel Enthusiasmus hinsichtlich der möglichen Wirkungen von Bibliotheken und – ich sollte es zugeben – auch ein wenig Frustration über einige Aspekte des öffentlichen Sektors sowie ein unbestimmtes Gefühl von Orientierungslosigkeit hinsichtlich der Rolle und der Arbeitsweisen und wohl auch der Zukunft öffentlicher Bibliotheken.

Ich wusste auch einiges über das Haus Bertelsmann und über Herrn Mohn. Im Laufe des dann folgenden Gesprächs wurde mir klar, dass neben der unternehmerischen Sicht, die Herr Mohn auf die Welt hat, ihn auch ein tiefes Interesse an den Öffentlichen Bibliotheken bewegt. Dieses Interesse war nicht so sehr literarisch geprägt, sondern war insbesondere fokussiert auf eben die unternehmerische Seite der Bibliotheken: das Marketing, die Distribution die Leistungsbewertung – kurz: auf die Frage: wie kommt das richtige Produkt zur richtigen Zeit möglichst effizient zu möglichst vielen Kunden. (Wir alle kennen diese Überlegungen von anderer Stelle!)

Und ich fand dass diese Aspekte, die ja zumindest damals doch eher komplementär waren zur allgemeinen Fachdiskussion, viel Lernstoff ergeben würden, sowohl für mich persönlich als auch, so hoffte ich, für die Bibliotheken.

Im Laufe der folgenden Jahre lernte ich auch, dass private Stiftungen Institutionen mit einer oft vorteilhaften Dualität sind. Sie sind einerseits geprägt durch die Vision und den Willen einer Einzelperson, nämlich des Stifters – andererseits sind sie gemeinnützig, sie haben strikt der Öffentlichkeit zu dienen und müssen sich immer wieder den Anforderungen der Gesellschaft stellen, der Evaluation und der Kritik.

Dass ich heute die Karl Preusker-Medaille entgegennehmen darf, zeigt, dass der Einsatz der Bertelsmann Stiftung für das öffentliche Bibliothekswesen von Ihnen als gesellschaftlich relevant und fachlich weiterführend anerkannt wird.

Dies bedeutet mir sehr viel und ich danke der Deutschen Literaturkonferenz und Ihnen, Herr Dr. Ruppelt, sehr für diese Auszeichnung. Auch Ihnen, Herr Dr. Eichert, gilt mein Dank für die Laudatio, die uns wie immer im Dialog mit Ihnen neben den lobenden Worten auch einige Hausaufgaben mit auf den Weg gibt.

Was ist denn nun eigentlich die Legitimation, mit der Stiftungen im Allgemeinen und eben auch die Bertelsmann Stiftung ihre Projekte im öffentlichen Bereich der Bibliotheken durchführt?

Drei populäre Thesen könnte man diskutieren:

Stiftungen verteilen Geld – manchmal viel Geld – und sind so eine Art moderner, zivilisierter Robin Hood?

Oder 2.: Private Stiftungen arbeiten per se effizienter und können somit alle möglichen Aufgaben wahrnehmen, inklusive der öffentlichen? Oder wie wäre es mit einer dritten Variante: Stiftungen haben aufgrund ihrer Rechtsform und ihrer Ausstattung sozusagen angeboren die Nase im Wind und sind daher natürliche Protagonisten des Wandels?

Keine dieser Thesen trifft nach meiner Meinung vollständig zu. Zwar mögen bei glücklichen Umständen diese Aspekte einzelne Seiten der Stiftungsarbeit berühren – entscheidend ist aus meiner Sicht aber ein anderer Punkt:

Stiftungen sind besonders dazu geeignet, neue Wege zu gehen, Experimente zu wagen, einen Wettbewerb der guten Ideen in Gang zu bringen und somit beizutragen zur Vielfalt in unserer Gesellschaft.

Vielfalt, sowohl inhaltlich als auch methodisch, ist einer der Bausteine, auf denen das Haus Bertelsmann gebaut wurde. Vielfalt ist ein Faktor, der entscheidend zum Unternehmenserfolg in rund 60 Ländern dieser Erde beigetragen hat.

Und so ist durch Reinhard Mohn auch die Unternehmenskultur und die operative Arbeitsweise der Bertelsmann Stiftung angelegt: vielfältige Denkweisen prüfen und aus vielen Bereichen lernen, über den Zaun blicken, von den Besten abgucken. Und dann mit diesem Rüstzeug gesellschaftlich relevante, zukunftsorientierte Fragestellungen bearbeiten. Nah an der Praxis, modellhaft, zur Nachahmung empfohlen und damit auch selbst im Wettbewerb vielfältiger Ideen stehend.

Unsere Projekte sind auf Nachhaltigkeit angelegt – auch das ein Gebot der Arbeit mit steuerbefreitem Geld – , das heißt: unsere Vorschläge müssen so gut sein, dass sie auch nach Projektende und ohne uns funktionieren.

Das klappt auch meistens und eine wichtige Zutat dabei ist die Kooperation mit Personen und Institutionen, die sich aufgemacht haben, Bibliotheken besser zu machen, kundenorientierter, effizienter, wirtschaftlicher und flexibler……und die damit ja auch ganz im Sinne Karl Preuskers handeln, der unsere größte Bewunderung für die erstaunliche Aktualität und die Frische seiner Bibliothekskonzeption hat.

Uns allen ist sehr deutlich: die besten Ideen und Theorien kommen nur zur Wirkung in der Zusammenarbeit mit Bibliotheken und Projektpartnern, die bereit sind, sich auf den Weg zu machen, gewohnte Arbeitsstrukturen zu durchbrechen und neue Methoden auszuprobieren.

Uns ist bewusst, dass die Entwicklung und Implementation unserer gemeinsamer Projekte die Bibliotheken im Hinblick auf ihre Ressourcen und ihre Flexibilität oft an ihre Grenzen bringt. Deshalb möchte ich an dieser Stelle meine Hochachtung und meinen Dank an all jene ausdrücken, die unsere Arbeit über Jahre begleitet haben durch ihre Mitarbeit in Projekten, durch ihr Praxiswissen, durch ihre wohlwollende und gleichzeitig kritische Diskussion und durch ihren Mut zum Wandel. Sie alle haben es erst ermöglicht, dass ich heute diese Auszeichnung entgegen nehmen kann. Sie werden mir glauben, dass diese Ehrung eine überaus angenehme Erfahrung ist – und so möchte ich insbesondere Frau Mai und all denen danken, die den heutigen Tag gestaltet haben.

Und schließlich: Zum Gelingen beigetragen hat meine Familie durch stete Motivation und Verständnis für leicht chaotische Terminpläne. Und natürlich ohne Zweifel die Mitarbeiter des Bereiches Öffentliche Bibliotheken, die mir durch das gemeinsame Querdenken, Diskutieren und Nuancieren bei der Projektentwicklung immer wieder deutlich machen, dass Kreativität und Dialog untrennbar sind.

Das Querdenken ist, wie Sie wissen, so eine Leidenschaft von uns. Wir schätzen und geniessen jeden Tag wieder das Privileg, Fragen stellen zu können wie diese: „Warum geht das eigentlich so?“ und „Geht das nicht vielleicht anders auch?“ oder „Geht es vielleicht anders besser“?

So lassen Sie mich zum Abschluss eine kleine Geschichte mit Ihnen teilen, die in einer längst vergangenen Zeit spielt und von einer ganz anderen Branche handelt. Sie geht mir aber trotzdem seit Jahren im Kopf herum und sie ist, wie ich meine, für die Arbeit der Bertelsmann Stiftung bedeutsam, aber vielleicht auch für die Bibliotheken in der heutigen Zeit:

Sie basiert auf einer Rede von Guy Kawasaki von Apple Computers und heißt „Rules for Revolutionaries“, also „Regeln für Revolutionäre“. Sie lautet so:

Um 150 Jahren gab es im Nordosten der USA ein Unternehmen, das den Abbau von Eisblöcken aus den Flüssen und Seen der Umgebung betrieb. Im Winter schlugen sie große Stücke aus dem Eis, und verkauften sie in den Städten zur Kühlung von Nahrungsmitteln.

Die Städte wurden größer, der Bedarf wuchs und das Unternehmen hatte die Idee, Pferde und Schlitten einzusetzen, um größere Blöcke zu transportieren und mehr Eis verkaufen zu können. Sie verbrachten viel Zeit damit, noch größere und bessere Schlitten zu entwickeln und immer mehr Pferde einzusetzen und so jedes Jahr ein kleines bisschen leistungsfähiger zu werden – – – und dann wurden Eisfabriken und Kühlschränke erfunden und wir ahnen, was mit dem Eisblock-Unternehmen geschehen ist.

Das ist interessant: die stete Verbesserung der Schlitten und die bloße Vermehrung der Ressourcen hat den ursprünglichen Eislieferanten nicht viel genutzt. Es war das gänzlich Neue, das revolutionäre Denken, das am Ende zu frischer Milch in jeder Küche und, wie wir wissen, zu erheblichem geschäftlichen Erfolg geführt hat. Es geht nicht darum, auf einer vorgegebenen Strasse immer schneller zu laufen – es geht darum, die Kurven zu überspringen!

Herr Preusker war wahrscheinlich so eine Art Kühlschrank-Erfinder-Typ.

Zum Wohl von umfassender Information, freier Meinungsbildung und wirkungsvollem Lernen sollten wir alle es auch sein.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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