Georg P. Salzmann

Preisträger 2007 der Karl-Preusker-Medaille

Preisträger der Karl-Preusker-Medaille 2007 ist

Georg P. Salzmann

Georg P. Salzmann erhält die Auszeichnung in Würdigung seiner Leistungen beim Aufbau des Dokumentations- und Forschungsarchivs
„10. Mai 1933 – Deutsche Literatur auf dem Scheiterhaufen“.

Seit Jahrzehnten verfolgt er mit unermüdlicher Leidenschaft und großem persönlichem Engagement das Ziel, die „verbrannten Bücher“ und deren Autorinnen und Autoren wieder ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen.

KroeberSalzZiegl


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 Urkunde

Die Deutsche Literaturkonferenz,welche im Gedenken an Karl Benjamin Preusker,
den Pionier der Volksbüchereibewegung,
Gründer der ersten deutschen Bürgerbibliothek 1828
im sächsischen Großenhain, dieKarl-Preusker-Medaille

gestiftet hat, verleiht diese Auszeichnung

Herrn Georg P. Salzmann

für sein mit unermüdlicher Leidenschaft und großem persönlichen
Engagement verfolgtes Ziel, die „verbrannten Bücher“ und deren
Autorinnen und Autoren wieder ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen.

Berlin, den 24. Oktober 2007

Für die Deutsche Literaturkonferenz

Burkhart Kroeber

„Habent sua fata libelli“ – „Sie haben ihr Schicksal, die Büchlein“,

dieser von Terentianus Maurus stammende Spruch kann auch auf deren Besitzer und Urheberinnen und Urheber bezogen werden.

Die Rede ist von den „verbrannten Büchern“, die 1933 auf den Scheiterhaufen der Nationalsozialisten landeten. Deren Autorinnen und Autoren wurden verfemt, verfolgt und ins Exil getrieben oder in Konzentrationslager gebracht und ermordet.
Von ihren Ideen, Vorstellungen, gesellschaftlichen Sichtweisen und Utopien einer besseren Welt legen ihre Werke aber noch heute Zeugnis ab – sofern sie gerettet wurden.
Der Sisyphusaufgabe, sie aufzufinden und wieder zugänglich zumachen, hat sich Georg P. Salzmann verschrieben und die inzwischen berühmte »Salzmann-Bibliothek der verbrannten Bücher« zusammengetragen. Eine Sammlung von mehr als 10.000 Werken von etwa 100 Autoren, klassisch gewordener wie zu Unrecht vergessener, deren Bücher im „Dritten Reich“ verbrannt oder verboten wurden. Diese Autoren sind jeweils annähernd vollständig mit ihrem Œuvre in Erstausgaben im Salzmannschen Haus angehäuft. „Diese Sammlung“, so Prof. Volker Hoffmann von der Ludwig-Maximilians-Universität München, „ist von unschätzbarem kulturhistorischen Wert, zum einen im Blick auf die ideellen Grundlagen der demokratischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland, zum anderen im Blick auf die Literaturgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“.
Georg P. Salzmann tut viel, um seine Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen: Er geht an Schulen und hält Vorträge, er lädt Schüler in sein Haus ein und lässt Forscher dort arbeiten. Er stellt Bibliotheken und Ausstellungsmachern Bücher als Leihgaben zur Verfügung. Er arbeitet mit einem Verein zusammen, der einzelne Werke, Autorinnen und Autoren in Lesungen vorstellt. Ziel des Vereins ist es, mit Hilfe von Sponsoren die einzigartige Sammlung in eine öffentliche Bibliothek zu verwandeln. Hierfür und für die mit seiner unermüdlichen Sammelleidenschaft zusammengetragenen Werke der deutschen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts ist Georg P. Salzmann nachdrücklich zu danken.[/su_spoiler]

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Laudatio zur Verleihung der Karl Preusker-Medaille am 24. Oktober 2007

Andauernde Zwischenlagerung.
Von den Schwierigkeiten, der ‚Bibliothek der verbrannten Bücher‘ eine Zukunft zu geben

Von Edda Ziegler

ZieglerPortIm Zentrum von Anna Seghers‘ berühmtem Exilroman „Transit“ steht ein namenloser Ich-Erzähler. Er ist politischer Flüchtling und hat sich Papiere und Identität eines anderen Emigranten angeeignet, eines Schriftstellers namens Weidel. Schauplatz der Handlung ist die deutsche Emigrantenszene in Marseille um 1940. Die Emigranten versuchen verzweifelt, zu entkommen, einen Platz auf einem der letzten Dampfer nach Übersee zu ergattern. Sei es nach dem Wunschziel USA oder auch nach Mexiko, Neuseeland oder Martinique. Unter ihnen ist Marie, die Frau des Schriftstellers Weidel. Ruhelos durchstreift sie die Hafencafés, auf der Suche nach ihrem Mann. Mit ihm gemeinsam will sie aufbrechen in ein neues Leben. Marie weiß nicht, daß ihr Mann längst tot ist. Daß er sich in Paris, beim Einmarsch der deutschen Truppen, das Leben genommen hat. Der Ich-Erzähler aber, der in Marie verliebt ist, lässt sie in dem Glauben, daß ihr Mann lebe. Als ein Untoter, als Schattenfigur steht Weidel zwischen dem Paar, das schließlich getrennte Wege geht. Wie die Sache ausgeht, ist Ihnen sicher bekannt – und wird im ersten Satz des Romans auch schon vorweg genommen, zumindest partiell: „Die ‚Montreal‘ soll untergegangen sein, zwischen Dakar und Martinique.“ Dieser erste Satz stünde – ginge es nach mir – in dem derzeit so beliebten Ranking um den schönsten ersten Satz der deutschen Literatur ganz vorne an.

Was aber hat diese verwirrende Geschichte mit Georg Salzmann zu tun und mit seiner Bibliothek der verbrannten Bücher, um die es ja heute Abend geht? Außer dem, daß es sich bei „Transit“ um eines der wertvollsten Bücher seiner Sammlung handelt? Er besitzt es selbstverständlich in der englischsprachigen Originalausgabe, die 1944 – noch vor einer deutschsprachigen – bei Little, Brown in Boston erschienen ist, ebenso wie in der 1948 bei Weller in Konstanz publizierten deutschen Erstausgabe und vielen ihr folgenden, im Aufbau Verlag und anderswo.
Aber das ist nicht alles. Salzmanns Beziehung zu diesem Buch geht tiefer.
Zum einen: Der untote Weidel hat ein reales Vorbild: Seghers‘ Schriftstellerkollegen Ernst Weiss (Man beachte den Namensanklang, die Alliteration!). Weiss hat, wie die Kunstfigur Weidel in Seghers‘ Roman, 1940 im Pariser Exil auf der Flucht vor den deutschen Besatzern Selbstmord begangen. Sein Schicksal, mit dem er, wie Sie wissen, nicht allein stand, hat die Freunde aus dem antifaschistischen Widerstand damals auf der Flucht durchs unbesetzte Frankreich, nach Marseille begleitet – ein immer präsenter Schatten, wie der des fiktiven Schriftstellers Weidel im Roman. In Weidel hat Anna Seghers Ernst Weiss ein literarisches Denkmal gesetzt.
Zum zweiten: noch einmal Ernst Weiss. Ihm kommt für Salzmanns Sammlung eine singuläre Bedeutung zu. Weiss und die Beschäftigung mit seinem Werk nämlich wurden zur Initialzündung für die Entstehung der Bibliothek der verbrannten Bücher. Weil er über Weiss einen Vortrag vor Bibliophilen halten sollte, machte der Finanzkaufmann Salzmann, der mit Büchern bis dahin eher wenig zu tun hatte, sich 1976 auf die Suche nach einschlägiger Literatur. Und weil Ernst Weiss damals ein weitgehend Unbekannter war, wurde Salzmann fündig nur in Antiquariaten. Und fand darüber zugleich sein Lebensthema: die im NS verbotenen, verfemten und verbrannten Bücher und ihre Autoren.
Zum dritten schließlich: Der Tatsache, daß ausgerechnet Ernst Weiss diese Initialzündung auslöste, möchte man einen hohen Symbolwert beimessen. Denn Salzmanns Interesse für den Widerstand gegen den NS erscheint eng verknüpft mit seinem eigenen Schicksal. Und das ist ebenfalls geprägt von einem Selbstmord: dem seines Vaters, 1945. Der war überzeugter Nationalsozialist, was ihn jedoch nicht hinderte, gegen Kriegende wahrzunehmen, was die Nazis angerichtet hatten – und zugleich die Rache der Sieger zu fürchten. Nur einmal hat er mit seinem damals knapp sechzehnjährigen Sohn darüber gesprochen. Immerhin einmal, mehr, als die meisten deutschen Väter es fertig brachten. Der Vater erschoß sich, kurz bevor die US-Army seine Heimatstadt Waltershausen in Thüringen besetzte; so wie Ernst Weiss, kurz bevor die deutsche Armee Paris besetzte.

Die Sammlung Salzmann – eine sehr deutsche Geschichte
Wer sich auf die Spur von Sammler und Sammlung begibt, sieht sich also mit einer sehr deutschen Geschichte konfrontiert. Sie handelt von einer nationalsozialistisch kontaminierten Jugend, von einem Leben im geteilten Deutschland und schließlich davon, wie einer, der mit seinen Büchern gegen das Vergessen kämpft, von der Zeit überrollt wird und sich mit seinem Anliegen letzten Endes ziemlich allein gelassen fühlt.
Überschrieben könnte diese Geschichte sein mit einem Satz von William Faulkner: „Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen.“ (Faulkner, „Requiem für eine Nonne“. 1951; auch Christa Wolf zitiert den Satz in „Kindheitsmuster“)

Georg P. Salzmann gehört zum Jahrgang 1929, zur Generation der Flakhelfer. Sie ist in letzter Zeit öfter ins Gerede gekommen, mit Walser, Lenz und Hildebrandt und vorher schon mit Jens und Grass, wegen der Frage ihrer Parteizugehörigkeit. Viel verbindet Salzmann auch mit Walter Kempowski: derselbe Jahrgang, die Herkunft aus Ostdeutschland, die durch die DDR-Zeit gebrochene Biografie. Und nicht zuletzt der Versuch, das eigene Schicksal zu begreifen und zu bewältigen als kritisch reflektierender Chronist und Sammler.
Der junge Salzmann gehörte den Jugendorganisationen der NSDAP an, machte die Grundausbildung in Wehrertüchtigung, konzipiert für die künftige Parteielite und wurde mit Fünfzehn, im letzten Kriegsjahr, Kurier zwischen Fronttruppen und Berliner Oberkommandostellen. Der Fronteinsatz blieb ihm, wegen einer lebensgefährlichen Erkrankung, erspart.
Mit Kapitulation und Selbstmord des Vaters endete Salzmanns Kindheit abrupt. Ohne abgeschlossene Schulausbildung, abgefunden mit dem obligatorischen Notabitur, übernahm er den väterlichen Betrieb in Waltershausen, nun Sowjetische Besatzungszone, später DDR, und leitete ihn nach dem Prinzip, das ihn von nun an lebenslang begleiten würde, beruflich wie als Sammler: Learning by doing.
1953, nach einer Haftstrafe wegen Wirtschaftssabotage, floh Salzmann mit seiner Frau in den Westen. Hier machte er in den Jahren des Wirtschaftswunders Karriere. Sie führte ihn 1976 nach Bremen und hier geriet er, allein, abgetrennt von der Familie, in eine Krise. Die Einsamkeit, in die er sich zurückgeworfen sah, machte ihm zu schaffen. In dieser Situation macht Salzmann die Bekanntschaft eines benachbarten Antiquars und durch ihn die eines Bremer Bibliophilen-Kreises. Und findet so sein Lebensthema – die verbrannten Bücher.

Die verbrannten Bücher – Denkmal und kollektiver Wissensspeicher
Damals, in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre, beginnt sich der intellektuelle Nachwuchs der BRD, in den Nachwehen von 1968, erstmals für die Exilliteratur zu interessieren. Das hatte die politische und mit ihr die etablierte literarische Öffentlichkeit bis dato gern der Erbepflege der DDR überlassen. Denn Emigranten galten als links-, wenn nicht gar kommunismusverdächtig. Nun aber, im gleichen Jahr 1976, in dem Salzmann zu sammeln beginnt, setzt Jürgen Serkes Artikel-Serie über „Die verbrannten Dichter“ im „Stern“ einen Mark- und Wendestein. Seine Reportagen machen das Schicksal der im „Dritten Reich“ verfemten und verbotenen Autoren und ihres Werks erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Salzmanns Lebensthema liegt damals also im Trend.
Und Salzmann wird fündig, entwickelt sich zum Kenner der internationalen Antiquariatsszene und zum Spezialisten für die verbrannten Bücher. Die Sammlung wächst. Heute umfasst sie mehr als 12 000 Bände und ist weltweit die größte in privater Hand. Sie enthält die Werke von insgesamt 90 Autorinnen und Autoren, bekannten wie unbekannt gebliebenen. Darunter die Prominenz der Exilliteratur: Vicki Baum und Bert Brecht, Feuchtwanger und Graf, Erich Kästner, Kafka, Gina Kaus, Irmgard Keun und Annette Kolb, Else Lasker-Schüler, die Manns, Remarque und Joseph Roth, Seghers, Tucholsky, Zuckmayer, Arnold und Stefan Zweig. Viele Autoren sind mit ihrem Gesamtwerk und in Erstausgaben vertreten. Das teuerste Buch ist Stefan Zweigs „Schachnovelle“, eines der bekanntesten Werke der Exilliteratur, in der Erstausgabe des Exilverlags Pygmalion, erschienen 1942 in Buenos Aires in 300 nummerierten Exemplaren. Weitaus mehr Kostbarkeiten aber hat Salzmann für Pfennigbeträge aufgestöbert, dank seiner Spürnase und des Sachverstands, den er sich im Lauf der Jahre erworben hat.
Vervollständigt wird die Sammlung durch spätere Werkausgaben, durch Literatur zum Kontext, wie Bildbände, Bibliografien und Biografien, Verlagsgeschichten und -almanache, zeitgenössische Zeitungen, Zeitschriften und Broschüren, Mappen mit Zeitungsausschnitten und – immer mehr – auch wissenschaftliche Untersuchungen, die mit Hilfe von Salzmanns Archiv entstanden sind. Bald stößt die Sammlung auf öffentliches Interesse, wird durch Ausstellungen, Vorträge, Presseberichte, Kooperationen mit Bibliotheken und Institutionen bekannt. 1984 gründet der Sammler ein eigenes Zentrum, das „Dokumentations- und Forschungsarchiv 10. Mai 1933 – Deutsche Literatur auf dem Scheiterhaufen“. Seine Intention: den Zivilisationsbruch „Drittes Reich“ nicht in Vergessenheit geraten zu lassen; mit den verbrannten Büchern zu „retten, was zu retten ist“ an kollektivem Wissen um das politische und das spezifisch literarische Leben während der Nazizeit.
1997, nach 20 Jahren des Sammelns, beschließt Salzmann, sich von seiner Bibliothek zu trennen. Der Entschluß fällt ihm schwer. Er trifft ihn ausschließlich aus Einsicht in äußere Notwendigkeiten: den Platzmangel, eine immer fragiler werdende Hausstatik, die latente Angst vor Wassereinbruch in seinem Haus in Gräfelfing, nahe der wilden Würm. Dazu kommt die mit dem Alter zunehmende Sorge um den Nachlaß und der immer dringlicher werdende Wunsch, seine Bibliothek der Allgemeinheit zugänglich zu machen und so gegen eine in politischer Pflichtübung erstarrende Erinnerungskultur anzugehen.
Von dieser Sorge sind auch die Bedingungen diktiert, an die Salzmann den Erwerb der Sammlung knüpft. Sie soll an eine öffentliche Institution gehen, soll als Bestand erhalten bleiben und der Öffentlichkeit zur Benutzung zugänglich sein. Diese Bedingungen erweisen sich in den nächsten zehn Jahren als gravierendes Handicap. An ihnen sind bisher – zumindest vordergründig – alle Interessenten und Verhandlungen gescheitert. Daran hat auch die „Aktion Patenschaften für verbrannte Bücher“ bisher leider nichts ändern können, ein Verein, der ausschließlich zum Zweck gegründet wurde, die Überführung der Sammlung in die öffentliche Hand zu unterstützen. Der Entschluß, die Sammlung abzugeben, fiel in politisch wie wirtschaftlich prekäre Zeiten. Die Preise für antiquarische Bücher erlebten in den letzten 10 Jahren eine rasante Talfahrt. Das Angebot ist größer als die Nachfrage – mit anhaltender Tendenz. Der Internethandel hat den Markt zusätzlich destabilisiert. Die großen wissenschaftlichen Bibliotheken scheuen sich, Büchermassen wie die Sammlung Salzmann en bloc zu übernehmen. Denn der Dublettenanteil ist nicht unbeträchtlich, die Raumnot akut; man weiß ohnehin nicht, wohin mit Erwerbungen, Nachlässen, Schenkungen. Außerdem fehlt den öffentlichen Einrichtungen für solche Spezialerwerbungen einfach das Geld. Auch die Nachfolgekosten für Erschließung und Verwaltung fallen ins Gewicht.
Und trotzdem: Wie kann es sein, daß keine öffentliche Institution der Republik sich bisher in der Lage sah, sich dieser Bibliothek anzunehmen? Die Pressemappen und Korrespondenzen, die Salzmanns Verhandlungen mit potentiellen Interessenten dokumentieren, sprechen da – vor allem im Subtext – eine beredte Sprache.

Erinnerungskultur – ein leidiges Thema
Wenn sich – wie hier – schnöde Erwerbsfragen mit einer politisch hoch aufgeladenen Thematik vermischen, wird die Gemengelage leicht unübersichtlich. Und die Frage, was eine Bibliothek der verbrannten Bücher in Deutschland, bitte schön, wert sei, gerät dann schnell in die Nähe von Grundsatzdebatten über die anhaltenden Schwierigkeiten der Deutschen mit ihrer Vergangenheit, speziell der NS-Erinnerungskultur.
Aus den öffentlichen Diskussionen um die diversen Erinnerungsstätten und -projekte ist hinlänglich bekannt, daß Kommunen und öffentliche Institutionen bis hin zur Jahrtausendwende versuchten, sich, was die eigene Verstrickung angeht, möglichst bedeckt zu halten. Lag und liegt es da nicht nahe, auf Distanz zu bleiben zu einem, der eine offizielle Stellungnahme zu diesem heiklen Thema provoziert? Allein dadurch, dass er – als Privatmann – die verbrannten Bücher sammelt und öffentlich präsentiert. Eben die Bücher, die z.B. die bayrische Staatsregierung als Bestand aus dem „Braunen Haus“ in München geerbt und – noch in den 70er Jahren – verramscht hat?
Das gängige Verhalten in der causa „Verbrannte Bücher“ repräsentieren die Universitäten in München und Erfurt. Sie seien stellvertretend genannt für viele andere Institutionen und Kommunen, die mit der Bibliothek der verbrannten Bücher in Berührung kamen. Von Studenten- und Professorenschaft der LMU ging – wie an anderen Unis auch – 1933 die Initiative für die Münchner Bücherverbrennung aus. Und doch meinte die LMU noch 1993, zum 60. Jahrestag des 10. Mai, sich vor dem Eingeständnis drücken zu müssen, damals offiziell und an führender Stelle dabei gewesen zu sein. An der Bibliothek der verbrannten Bücher zeigt sie kein Interesse. Ebenso wenig wie die Universität Erfurt. Ihr bot Salzmann, seiner thüringischen Wurzeln eingedenk, 1998 bei der Neugründung in Wende-Zeiten unter Gründungsrektor Peter Glotz, seine Sammlung an – zu einem symbolischen Preis. Die Universität lehnte das Geschenk ab, mit Schreiben einer Mitarbeiterin der Universitätsbibliothek. Grund: Es passe nicht ins Konzept. Der neuen Uni fehle ein entsprechender Forschungsschwerpunkt. Man hatte damals in Erfurt hochfliegende Pläne; eine Eliteuniversität nach amerikanischem Muster wollte man werden. Daraus ist, wie man weiß, nichts geworden. Der Gründungsrektor hat sich schon im Jahr darauf an die Privatuniversität St. Gallen verabschiedet.
Dort hat man übrigens inzwischen einen Spezialstudiengang für Medien- und Verlagsmanagement gegründet und – zu dessen historischer Fundierung und Legitimation – das Deutsche Bucharchiv übernommen, ebenfalls eine Münchner Einrichtung und bisher hier im Literaturhaus beheimatet. Auch das Deutsche Bucharchiv ist eine von einem privaten Sammler zusammengetragene Bibliothek: buchwissenschaftliche Spezialliteratur aus der Zeit nach 1945. Einen entsprechenden Forschungsschwerpunkt hat man in St. Gallen nicht. Er läge den Zielen der Wirtschaftsuni auch ziemlich fern.
Flexibler als deutsche öffentliche Institutionen zeigten sich zunächst US-amerikanische Universitäten. Doch auch hier kam es letztlich in keinem Fall zur Übernahme der Sammlung. Vielleicht auch, weil der Sammler sich nach wie vor schwer tut mit dem Gedanken, dass diese nach Übersee gehen soll; ins Exil, so wie die meisten der von ihm gesammelten Autoren.

Und erscheint es nicht in der Tat etwas abwegig, sich die Bibliothek der verbrannten Bücher in Illinois oder Minnesota vorzustellen? Oder auch in Greifswald, wo man ebenfalls Interesse zeigt? Gehörte sie nicht vielmehr an einen zentralen Ort des „Dritten Reichs“? Wäre ihr originärer Platz nicht hier in München, und zwar im seit Jahren geplanten NS-Dokumentationszentrum?
Wäre hier, nur wenige Meter entfernt vom Königsplatz, dem Ort der Bücherverbrennung, nicht der ideale Platz für eine Bibliothek, die die dort vernichtete Literatur wieder gegenwärtig werden lässt? Es erscheint nur konsequent, dass der preisgekrönte Entwurf zweier Architekturstudenten zur Gestaltung des Zentrums die Sammlung zu dessen Nucleus macht.
Doch das war 2006. Inzwischen ist es wieder sehr still um das Projekt geworden.

Der Sammler nähert sich inzwischen den Achtzig; er fürchtet, die Realisierung dieser besten aller Lösungen nicht mehr zu erleben. Und richtet seine Hoffnungen deshalb auf den bayerischen Plan B, das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, das 2001 eröffnet wurde. Die Stadt Nürnberg, auch sie, wie München, SPD-regiert durch einen starken OB, hat ihr Interesse signalisiert. Man darf – trotz allem parteipolitischen Klein-Klein und trotz der üblichen bürokratischen Hürden – auf eine positive Entwicklung hoffen. Doch wann? Und wie genau? Es sind noch viele Fragen offen. Kein Wunder, dass das Verhältnis des Sammlers zu öffentlichen Institutionen nicht frei ist von Anzeichen der Frustration.

Doch was tut ein Sammler in dieser Situation? Er sammelt einfach weiter, auch, wenn der Platz noch knapper, die Statik noch prekärer wird, die Angst vor dem Würmwasser steigt und die Preise sinken.
Die 12 000 Bände quellen, hoch und quer gestapelt, aus den Regalen, die die Wände des Kellerarchivs restlos bedecken, sie türmen sich auf Tischen und Fußböden, auf allen Treppen, in allen Zimmern, borden über bis auf den Balkon, wo die jeweils neuesten Fundstücke lagern: Trouvaillen von den Streifzügen über die Flohmärkte, durch die Münchner Antiquariate, die Berliner Bouquinistenszene und aus den Tauschgeschäften mit befreundeten Antiquaren, weltweit. An den Wänden des Treppenhauses reihen sich, quasi als Nebenertrag, ebenfalls flächendeckend, Grafiken an- und übereinander. Darunter, zwischen allerlei Erinnerungsstücken und Ausstellungsplakaten, Hochkarätiges etwa von Barlach und Kollwitz; Blätter, die anderswo in Museen als Unikate gehütet und präsentiert werden.
Die Sammlung ist Salzmanns Leben. Sie wegzugeben, das sagt er selbst, komme einer Amputation gleich. Immerhin: Neue Sammelgebiete kommen in Sicht. Bei meinem letzten Besuch zeigte er mir begeistert alte Kunstbände, die er eben auf dem Flohmarkt aufgestöbert hatte. Ihr Thema? Ouevre-Kataloge zur entarteten Kunst.
Wie schrieb doch der jeder NS-Erinnerungshuberei unverdächtige William Faulkner: „Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen“.

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[su_spoiler title=“Dankesrede“ icon=“caret“]

Dankworte zur Verleihung der Karl Preusker-Medaille am 24. Oktober 2007

SalzmPortIch bin in freier Rede nicht so geübt.
Deshalb habe ich das alles ein biß’l aufgeschrieben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Freunde,

zuerst darf ich mich bei Ihnen, sehr verehrte Frau Mai und sehr geehrter Herr Kroeber (und dies stellvertretend für die Deutsche Literaturkonferenz) für die Ehrung mit der Karl-Preusker-Medaille bedanken.
Ein besonders herzliches Dankeschön auch an Frau Dr. Edda Ziegler für ihre einfühlsame Laudatio.
Nicht weniger bedanken muss ich mich aber bei den hier anwesenden und den verhinderten Freunden, dass sie mich in den vergangenen Jahren auf meinem mühevollen Weg begleitet haben, die von den Nazis Verfemten nicht auch noch zu Vergessenen werden zu lassen.

Vor nun bald 50 Jahren habe ich begonnen, von den Büchern dieser Autoren „zu retten, was noch zu retten ist“.

Mit meiner ganzen Kraft und unter Einsatz fast meines ganzen finanziellenVermögens habe ich in den vergangenen Jahren das „Dokumentations- und Forschungsarchiv – 10. Mai 1933 – Deutsche Literatur auf dem Scheiterhaufen“ auf- und ausgebaut.

Erwarten Sie jetzt von mir keinen akademisch unterfütterten Vortrag über „meine“ Autoren wie Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf oder Stefan Zweig (um nur diese Namen beispielhaft zu nennen).
Ich bin kein Professor für Germanistik und dafür ist heute Abend weder Zeit noch ist es überhaupt Anlass dieser Veranstaltung.

Ich bin nur ein völlig Verrückter, der es sich in den Kopf gesetzt hat, diesen wichtig(st)en Teil des Deutschen Nationalkanons für die Nachwelt (d.h. für die nächste Generation) zu retten und öffentlich zugänglich zu machen.
Mich treibt mehr und mehr um, dass es den Nazis über 60 Jahre nach ihrem ruhmlosen Ende doch noch gelingen könnte, diesen Teil der deutschen Literatur aus den Köpfen der Deutschen zu tilgen.

Walter Kempowski (der für mich ein wahrer Bruder im Geiste war) hat – wenn auch auf einer anderen Ebene – seinen Beitrag wider das Vergessen geleistet. Erst in den letzten Jahren (verspätet und vielleicht für ihn zu spät) wurde ihm von der Literaturwissenschaft die gebührende Würdigung zuteil.
Ich werde nun auch bald 80 und habe das Glück, dass mir noch zu meinen Lebzeiten von berufener Stelle attestiert wird, ich sei auf dem richtigen Weg.
Dass Sie mich dabei begleiten und unterstützen, erfüllt mich mit Dank!

Ich verbeuge mich vor Ihnen und verspreche Ihnen – solange ich noch „krauchen“ kann, werde ich nicht nachlassen in meiner Arbeit.

Und abschließend muss ich noch ein besonderes Dankeschön an meine leider inzwischen verstorbene geliebte Frau zu sagen, die unter Hintanstellung eigener Wünsche mir über Jahre in selbstloser Weise den Rücken freigehalten hat.
Sie wird jetzt auf einer Wolke sitzen und gerührt zuhören, wie ihr Mann „geehrt“ wird.
D a n k e s c h ö n, M a r g o t !

Und ich danke Ihnen Allen.

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