Dr. Regina Peeters

Preisträger 2003 der Karl-Preusker-Medaille

Deutsche Literaturkonferenz verleiht diese Auszeichnung
Frau Dr. Regina Peeters

Mit der Verleihung der Preusker-Medaille ehrt die Deutsche Literaturkonferenz das Engagement einer noch jungen Bibliothekarin und Bibliotheksleiterin, deren dynamisches Wirken dennoch als ein „Lebenswerk“ bezeichnet werden kann: Was Regina Peeters in 23 Jahren im Europäischen Übersetzer-Kollegium Nordrhein-Westfalen in Straelen geschaffen und geleistet hat, darf zu Recht als kulturprägend bezeichnet werden.

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Urkunde

Mit der Verleihung der Preusker-Medaille ehrt die Deutsche Literaturkonferenz das Engagement einer noch jungen Bibliothekarin und Bibliotheksleiterin, deren dynamisches Wirken dennoch als ein „Lebenswerk“ bezeichnet werden kann: Was Regina Peeters in 23 Jahren im Europäischen Übersetzer-Kollegium Nordrhein-Westfalen in Straelen geschaffen und geleistet hat, darf zu Recht als kulturprägend bezeichnet werden.

Die in Straelen von Elmar Tophoven und Klaus Birkenhauer als Herzstück des Kollegiums gegründete Bibliothek hat Regina Peeters im Lauf der Jahre zu einer in der Welt wohl einmaligen Spezialbibliothek für Übersetzer entwickelt und ausgebaut. Praktisch, originell, menschlich und gleichzeitig technisch auf dem aktuellsten Stand, ist die Bibliothek nicht nur Magnet, Treffpunkt und Arbeitsort für Übersetzerinnen und Übersetzer aus dem In- und Ausland, sondern auch ein idealer Ort für Seminare, Workshops, Arbeitstagungen und Treffen von Übersetzern mit Autoren. Eine „Bibliothek für Babel“ hat Regina Peeters nicht nur als Bibliotheksleiterin aufgebaut, sondern diese Bibliothek für Babel ist auch Gegenstand und Titel ihrer Doktorarbeit (2002), in der sie die Informationsbedürfnisse von Literaturübersetzern untersucht und Maßstäbe für eine Spezialbibliothek für literarische Übersetzer beschreibt.

Zu einem zweiten Schwerpunkt hat Regina Peeters im Laufe der Jahre die Öffentlichkeitsarbeit für das Europäische Übersetzer-Kollegium und das Thema Literaturübersetzen entwickelt. Einfallsreich, sorgfältig und erfolgreich hat sie Kontakte zu Presse, Funk und Fernsehen aufgebaut und gepflegt und so mit leichter Hand, souverän und wirkungsvoll eine Basis für den Diskurs über Literatur, Weltliteratur und Literaturübersetzen gelegt.

Die Deutsche Literaturkonferenz,welche im Gedenken an Karl Benjamin Preusker,
den Pionier der Volksbüchereibewegung,
Gründer der ersten deutschen Bürgerbibliothek 1828
im sächsischen Großenhain, die

Karl-Preusker-Medaille

gestiftet hat, verleiht diese Auszeichnung

Frau Dr. Regina Peeters

in Würdigung ihrer Verdienste um den wissenschaftlich fundierten und praktischen Ausbau einer Bibliothek für Literaturübersetzer aus aller Welt im Europäischen Übersetzer-Kollegium in Straelen und um die damit verbundene wachsende Beachtung und Anerkennung des Literaturübersetzens in der Öffentlichkeit.

Berlin, den 24. Oktober 2003

Für die Deutsche Literaturkonferenz
Burkhart Kroeber

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Laudatio anlässlich der Verleihung der Preusker-Medaille am 24.10.2003 an Frau Dr. Regina Peeters

von Claus Sprick, Präsident des Europäischen Übersetzerkollegiums Straelen, Essen

Liebe Regina Peeters,
geschätzte Bibliothekarinnen und Bibliothekare,
meine sehr verehrte Damen und Herren!
Man hat mir schon mehrfach im Anschluß an Reden, die ich gehalten habe, in aller Freundschaft nahegelegt, mir gefälligst vorher zu überlegen, worüber ich zu sprechen gedenke, das womöglich irgendwie zu gliedern und den Zuhörern die thematischen Schwerpunkte vorab stichwortartig anzukündigen. Dieser Bitte komme ich gern nach.
Ich möchte wie immer weit ausholen und die Evolution vom Affen über den Menschen zur Bibliothekarin aufzeigen. Ich werde darlegen, warum die Bretter, die die Welt bedeuten, Regale heißen, und was das etymologisch mit Regina zu tun hat. Bitte erlauben Sie mir auch, ganz persönliche Erfahrungen einzuflechten, etwa wie ich Regina Peeters kennengelernt habe oder wie eine Bibliothekarin beinahe zum Anlaß meiner ersten Ehekrise geworden wäre. Und welche Krise Karl Benjamin Preusker vermutlich bekommen hätte, wenn ihm zu Lebzeiten bekannt geworden wäre, nach welch unkonventionellen Regeln diese Bibliothek im Europäischen Übersetzer-Kollegium in Straelen funktioniert, die Regina da aufgebaut hat.
Ich bin allerdings nicht mehr dazu gekommen, das zu ordnen und zu gliedern. Ihnen wird daher nichts anderes übrig bleiben, als sich alles so anzuhören, wie es gerade kommt. Sie dürfen aber hoffen, daß meine Laudatio sich dem Ende zuneigt, sobald die genannten Themen abgehandelt sind. Es sei denn, mir fällt während der Rede noch was ein.
Dies ist übrigens meine erste Laudatio. Was eine Laudatio ist, habe ich pflichtgemäß recherchiert, und zwar aus Diskretion ganz eigenständig, statt wie sonst einfach Regina zu fragen. Anders als der Küchenlateiner vermuten könnte, ist eine laudatio also nichts, was man geschenkt bekommt, sondern etwas, das man sich verdient haben muß. Etymologisch kommt das von laus, das Lob. Und ich gedenke, Regina viele läuse in den Pelz zu setzen. Verdientermaßen. Und voller Verehrung, wie es sich einer regina -einer Königin- gegenüber geziemt, wofür mir die Synonymwörterbücher im Europäischen Übersetzer-Kollegium den Begriff „huldigen“ vorschlagen. Lassen sie mich also huldigst loslegen. Ich habe Regina 1981 in Straelen kennengelernt. Da war sie noch in der Untersekunda, wie das damals hieß, und das Europäische Übersetzer-Kollegium noch in der Gründungsphase. Wir hatten eine unserer ersten öffentlichen Veranstaltungen, bei der Regina sicherlich die jüngste Zuhörerin war. Sie sprach mich in der Pause an, zeigte sich von der Idee des Kollegiums begeistert und fragte, ob sie in ihrer Freizeit stundenweise mithelfen könne, zum Beispiel, um unsere damals noch sehr bescheidene Bibliothek zu ordnen. Das nenne ich eine gezielte Jobsuche und zugleich den Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Wir haben Regina seitdem komplett vereinnahmt, wenn man einmal von den drei Jahren absieht, nach ihrem Abi 1984, in denen wir ihr gestatteten, mal kurz an der Fachhochschule für Bibliotheks- und Dokumentationswesen in Köln zu studieren, aber mit dem wechselseitigen Versprechen, daß sie anschließend als Diplom-Bibliothekarin zu uns zurückkommt.
Eine Bibliothekarin war für mich schon immer etwas Besonderes, und Regina schon immer eine ganz besondere Bibliothekarin.
Nun erwarten einige von Ihnen gewiß, daß ich jetzt auf meine Fast-Ehekrise zu sprechen komme. Den Gefallen kann ich Ihnen tun. Ja, auch das war 1981. Aber ganz anders, als zu vermuten ich Ihnen ohnehin verübeln würde. Ich erzähle das auch nur, um ein weiteres Beispiel dafür aufzuzeigen, welch wichtige Rolle Bibliothekarinnen im Leben eines Menschen spielen können:
Meine Tochter Diana war damals gerade ins lesefähige Alter gekommen, und ich nahm sie zum ersten Mal in die Stadtbücherei in Essen mit. Sie suchte ein Buch „mit richtigen Hexen und Zauberern und so“, und ich sagte ihr, sie solle doch einfach mal die junge Dame an der Ausleihe fragen, das sei die „Bibliothekarin“ und die wisse da besser Bescheid als ich. Diana ließ sich beraten und war mit ihrer Beute -gleich zwei Gruselbüchern nach ihrem Geschmack- hochzufrieden. Nur mit dem Begriff „Bibliothekarin“ war sie wohl etwas überfordert, denn beim Abendessen fragte sie: „Papa, gehst du morgen wieder die Karin besuchen?“ Da hatte ich meiner Frau gegenüber einen gewissen Erläuterungsbedarf, durfte dann aber die Karin doch wieder besuchen, um für Diana Nachschub zu besorgen. Seitdem treibt sich auch dieses Kind vorzugsweise in Büchereien herum. Die Bibliothek, die Regina Peeters aufgebaut hat, dient indes ganz anderen und sehr speziellen Bedürfnissen, setzt aber gerade deswegen offenbar ebenfalls gewisse Grundkenntnisse in Hexerei und Zauberei voraus, und das nicht nur, was ihre Finanzierung betrifft. Einerseits soll sie idealerweise alle Fachgebiete und Sprachen abdecken, also eine Universalbibliothek sein. Zum anderen muß sie aber auf die spezifischen Bedürfnisse literarischer Übersetzer ausgerichtet sein, die häufig sehr punktuelle Auskünfte brauchen, wie sie nur alternative und atypische Informationsquellen bieten wie etwa Produktkataloge, Stadtpläne aus der Zeit, in der der zu übersetzende Roman spielt, Trivia, die herkömmliche Lexika als zu banal verschmähen, ältere Enzyklopädien, die über den Wissensstand einer früheren Epoche Aufschluß geben, aber auch ganz Aktuelles oder regionale Details bis hin zu örtlichen Dialekten.
Selbst falsches Deutsch, das die puristisch-puritanische Duden-Redaktion schamvoll zu verleugnen pflegt, wie etwa die Wendung „in Bälde“, muß man dort nachschlagen können. Ein vietnamesischer Germanist und Goethe-Übersetzer, der irgendwo hocherfreut gelesen hat, daß eine Konkordanz diesen Meisters Wortschatzes in Bälde verfügbar sei, wäre deshalb gut beraten, nicht vergebens nach der von ihm womöglich im Hochsauerland vermuteten Kleinstadt Bälde zu suchen, sondern sogleich an den Niederrhein nach Straelen zu kommen, um zu recherchieren, was es damit auf sich hat.
Da will in Straelen zum Beispiel ein Flaubert-Übersetzer wissen, wie man Mitte des 19. Jahrhunderts die Hemdhöschen nannte, die junge Mädchen damals trugen – und wird von Regina sogleich auf einen Wäschekatalog eines Berliner Textilhauses aus jener Zeit verwiesen, der wie selbstverständlich im Regal mit der Aufschrift „Einsprachig, Deutsch, Mode und Textilien“ steht. Oder ein anderer will wissen, ob er ein noch früher in Frankreich gebräuchliches mehrsitziges Pferdefuhrwerk als „Kremser“ übersetzen könnte, und stellt dann bei der Suche nach einer Abbildung dieses Gefährts fest, daß ein gewisser Herr Kremser, hier in Berlin übrigens, die Zulassung für derartige Droschken erst 1822 erhielt, so daß diese Übersetzung bei einem französischen Roman aus dem Jahre 1805 nicht nur regional nicht paßt, sondern auch ein peinlicher Anachronismus wäre. Da heißt es dann, weiter in Beschreibungen und Abbildungen von alten Kutschen zu stöbern.
Häufig geht es auch nur darum, adäquate Formulierungen für Phänomene zu finden, für die die Sprache des Originals problemlos Bezeichnungen bereithält, die Zielsprache aber nicht. Eine Engländerin hat beispielsweise keine Schwierigkeiten, „to cross and uncross her legs“. Kann man im Deutschen seine Beine, oder, um einen typischen Anglizismus zu vermeiden, die Beine entkreuzen? Oder muß man sie martialisch wieder auseinanderschlagen? Da ist es hilfreich, deutsche Übersetzungen englischer Texte daraufhin zu durchforsten zu können, ob ein anderer Kollege bereits eine adäquate Lösung gefunden hat.
Gerade im Bereich der „Körpersprache“ tauchen solche Fragen immer wieder auf. Gibt es dafür ein spezielles Glossar? Leider nein, noch nicht. Aber auch Material für ein solches Glossar mit Beispielen aus der Literatur zu sammeln ist Aufgabe einer übersetzerspezifischen Bibliothek. Und irgendwann wird es hoffentlich in Straelen ein Kompendium geben, in dem man beispielsweise gezielt nachschlagen kann, wie man im Deutschen mit den Armen rudert (womit sonst?), oder was ein Mensch in deutscher Sprache alles mit den Daumen oder mit der Zunge machen kann.
Wußten Sie übrigens, daß es genau diese beiden letzten Fertigkeiten sind, die uns Menschen von den Tieren unterscheiden, und -naja, graduell- Bibliothekare und Bibliothekarinnen von uns anderen Sterblichen? Denn nur wir Menschen haben den voll opponierbaren Daumen, den wir abspreizen und rotieren lassen können, was uns in die Lage versetzt, Däumchen zu drehen, Geld anzudeuten, einen Hosenschlitz zu öffnen oder Gladiatoren in den Tod zu schicken. Dagegen sehen selbst die anderen Primaten evolutionsmäßig alt aus. Ein Affe kann zwar in der Nase bohren, aber nur der homo sapiens sapiens ist in der Lage, das, was er dort gefunden hat, seinem Nachbarn ans Fell zu schnipsen. Das zweite, was uns Menschen von den Tieren unterscheidet, ist die Zungenfertigkeit, der wir die Sprache verdanken. Sie wird nur noch übertroffen von der Fähigkeit, die Zunge längs zu falten. Das beherrscht aber, genetisch bedingt, nur ein kleinerer Teil der Menschheit, die sogenannten Zungenroller, und es würde mich übrigens durchaus nicht wundern, wenn Regina Peeters dazugehört. Die meisten können nur dekorativ die Stirn in Falten legen, denn die Sprache ist schon schwierig genug. Aber auch die hat Regina Peeters zu beherrschen gelernt. Und nicht nur eine. In Straelen stehen Nachschlagewerke und andere Bücher in mehr als zweihundertsiebzig Sprachen und Dialekten, und ich begreife bis heute nicht, wie sie das alles auseinanderhalten kann, geschweige denn, wie sie es schafft, Bücher, die von rechts nach links geschrieben sind, von links nach rechts zu ordnen oder unseren Bestand chinesischer und japanischer Bücher (nebenbei bemerkt: wir haben inzwischen die zweitgrößte Sammlung japanischer Nachschlagewerke in Deutschland) so zu katalogisieren und zusammenzustellen, daß unsere asiatischen Gäste sich keine Mühe zu geben brauchen, ihr Gesicht zu wahren und nicht in ihr landestypisches Kichern auszubrechen.
Daß Bibliothekare und Bibliothekarinnen dem gewöhnlichen homo sapiens evolutionsmäßig noch einen Schritt voraus sind, habe ich auch an dem besonderen professionellen Griff beobachten können, mit dem Regina den abspreizbaren Daumen einsetzt, um ein Buch aus dem Regal zu holen. Unsereiner legt den Zeigefinger oben auf den Schnitt und krallt sich das eingeklemmte Buch dann schräg verkantet nach vorn heraus. Kein Wunder, daß die Buchrücken oben immer arg lädiert sind. Nicht so Regina. Sie nähert sich dem gewünschten Buch mit entschlossen abgespreiztem Daumen und Zeigefinger, mit denen sie den linken und rechten Nachbarband etwas zurückstößt, um sodann in fließender Bewegung den mittleren Band, der nun ein wenig heraussteht, zangenartig zu greifen und einbandschonend herauszuziehen.
So souverän herrscht Regina auch im übrigen über ihre Regale. Und wenn ich bereits darauf hingewiesen habe, daß regina „die Königin“ heißt, sei mir auch der Hinweis darauf gestattet, daß ein Regal laut Lexikon auch ein königliches Vorrecht ist und die Übersetzer sich daher glücklich schätzen dürfen, sich aus diesen Regalen, die die Welt erklären, nach Gusto bedienen zu dürfen. „Se régaler“ heißt im Französischen übrigens, sich etwas besonders Gutes zu gönnen, und genau das kann man in der Straelener Bibliothek. Sogar in einem Maße, daß es Karl Benjamin Preusker womöglich gegraust hätte. Als er heute vor 175 Jahren in Großenhain seine Schulbibliothek mit 132 Bänden eröffnete, hätte er sicherlich nichts dagegen gehabt, sie allmählich auf über 110.000 Bände auszubauen, wie Regina das vollbracht hat. Aber wie hätte er wohl auf das Ansinnen der Benutzer reagiert, zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit Zugang zu fordern oder gar neben dem Regal mit Biographien, vor den russischen Klassikern oder inmitten theologischer Werke ihr Bett aufzuschlagen, um dort zu nächtigen?
Nun, wahrscheinlich wäre er dennoch begeistert, wenn er sehen und miterleben könnte, wie hier die Idee einer Bibliothek als einer „Wohnstätte des Geistes“ bis zur letzten Konsequenz fortgeführt worden ist. Das Europäische Übersetzer-Kollegium hat keine Bibliothek, sondern es ist eine, in der man wohnen und arbeiten kann. Man stelle sich einen lichten Innenhof unter einem Glasdach vor, zweistöckig umrahmt von Regalen mit Nachschlagewerken sowie Arbeitstischen mit Computern, und sternförmig davon abgehend neunundzwanzig Appartements, von denen keines dem anderen gleicht und in denen wiederum Regale mit Büchern stehen. Keine Nische, kein Durchgang, kein Toilettenvorraum, der nicht ebenfalls eine kleine, thematisch in sich geschlossene Bibliothek beher-bergte. Wer bei uns zur Tür hereinkommt und im Flur den Mantel an den Garderobenhaken hängt, ist an Diderots und d’Alemberts Enzyklopädie schon vorbeigelaufen. Nur die Gemeinschaftsküche ist bücherfrei, hat aber ihrerseits zur Entstehung eines kosmogastrosophischen Straelener Kochbuches beigetragen, herausgegeben von wem wohl? Von Regina Peeters natürlich. Straelen – eine klösterliche Idylle für die Diener des Wortes? Ja, irgendwie schon, aber dieses Kloster ist so was von online und vernetzt, daß man versucht sein könnte zu sagen: da surft der Mönch im Kettenhemd. Und zugleich (aber das behalten Sie bitte für sich) ist das für Insider die heißeste Wortspielhölle im Polyglottertal. Auf alles, was es an Nachschlagewerken und Literatur auf CD-ROM gibt, hält Regina Peeters zwar energisch den abgespreizten Daumen, um Raubkopierern das Handwerk zu legen, aber von jedem Arbeitsplatz und jedem Zimmer aus kann man Tag und Nacht auf dieses Datenmaterial zugreifen, und selbstverständlich ebenso zum Flachtarif (neudeutsch: flatrate) auf das gesamte Internet. Das setzt bei Nutzern nicht einmal den abspreizbaren Daumen voraus, denn die Software hat Regina Peeters so idiotensicher zurechtgebogen, daß selbst der „Affengriff“ (Control – Alt – Delete, Sie wissen schon) nur im äußersten Notfall erforderlich ist.
Aber die Straelener Bibliothek bietet weit mehr als die Möglichkeit, im digitalen Chaos zu wühlen. „Google“ mag eine gigantische Suchmaschine sein – was Regina in Straelen aufgebaut hat, ist weit besser, nämlich eine höchst effiziente „Findemaschine“.
Das allein würde es rechtfertigen, so, wie man noch heute bewundernd von der Bibliothek von Alexandria spricht, auch in fernen Zeiten noch von der „Bibliothek von Regina“ zu sprechen. Das Wertvollste daran ist aber nicht diese „Findemaschine“, sondern der gute Geist, der hinter ihr steht und sie belebt. Als Leiterin einer Bibliothek, in der jährlich rund 750 Gäste leben und arbeiten, hat Regina Peeters einen Zuständigkeitsbereich, den man dezenterweise als äußerst elastisch bezeichnen könnte. Sie kümmert sich nicht nur um die vielfältigen literarischen und persönlichen Nöte der Übersetzerinnen und Übersetzer, sondern vertritt die Idee des Übersetzer-Kollegiums durch ihre unermüdliche Öffentlichkeitsarbeit auch höchst wirkungsvoll nach außen, so wie vor wenigen Tagen noch auf der Frankfurter Buchmesse. Für all das haben wir Übersetzer Regina Peeters herzlich zu danken.
Und im gleichen Atemzug möchte ich auch der einzigen weiteren Persönlichkeit danken, deren Verdienste sich hinter all dem nicht zu verstecken brauchen, und die es verdient, sich die Preusker-Medaille mit unserer Regina zu teilen: ich meine die Wissenschaftlerin Dr. Regina Peeters, die vor einem Jahr eine Dissertation vorgelegt (fast hätte ich gesagt: hingelegt) hat, deren Umfang sogar für ihren Spezialgriff eine Herausforderung darstellt. Auf über 500 Seiten hat sie die typischen Informationsbedürfnisse literarischer Übersetzer analysiert und mit der geballten Erfahrung von über zwanzig Jahren Praxis ein Modell entworfen, wie die ideale Bibliothek hierfür beschaffen sein sollte. Ganz zu schweigen von einer Fülle weiteren aufschlußreichen Materials, das sie aus Bescheidenheit in eine beiliegende CD-ROM verbannt hat, um Akademiker, die eine Habilitationsschrift verfassen wollen, nicht sogleich angesichts einer mehrbändigen Dissertation in die Depression zu treiben.
Mit dem Europäischen Übersetzer-Kollegium und allen seinen Nutzern freue ich mich mehr, pardon: unbändig, daß Dr. Regina Peeters mit der Karl – Preusker – Medaille ausgezeichnet wird, und beglückwünsche die Jury zu ihrer Entscheidung. Wäre Regina achtzig, würde ich das eine wohlverdiente Würdigung ihres Lebenswerks nennen – und mir zugleich Sorgen um ihren Gesundheitszustand machen, weil Preise hierzulande viel zu oft erst vergeben werden, wenn es gilt, der Notwendigkeit einer posthumen Ehrung gerade noch zuvorzukommen. Regina ist aber nicht einmal halb so alt. Und deshalb betrachte ich diese Auszeichnung statt dessen als eine Bestätigung dafür, daß wir noch viel von ihr erwarten können.

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Dankrede aus Anlaß der Verleihung der Preusker-Medaille 2003

peetersDr. Regina Peeters

Sehr geehrter Burkhart Kroeber,
lieber Claus Sprick,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

„I am the greatest.“
Keine Sorge: Bei aller Freude, ganz so zu Kopf gestiegen ist mir die Auszeichnung mit der Karl-Preusker-Medaille 2003 denn doch nicht, dass ich gleich zum großmäuligen Superlativ und dann auch noch in der Weltsprache Englisch greifen würde.
So notwendig und wünschenswert es mitunter auch immer noch wäre, die Sprache der Bibliothekare und der literarischen Übersetzer durch einen solchen größenwahnsinnigen Paukenschlag aus ihrem Dornröschenschlaf zu erlösen, endlich einmal wegzukommen von all diesen müden Bescheidenheitsformeln, den ewigen Jammertopoi, der großen Fuge in Ach, dem wohligen Auskosten des hohen Wehs in aller Öffentlichkeit. Hat eigentlich schon jemand einmal bemerkt, dass Bibliothekare und literarische Übersetzer im Grunde allzu oft und allzu lange schon dieselbe Sprache gesprochen haben – eine Sprache der Selbstbescheidung bis hin zur Selbstdemütigung, eine kleinmütige Sprache, auch eine Sprache des Selbstmitleids, fast eine Sklavensprache?
„I am the greatest.“ Wie anders klingt da dieser selbstbewusste Satz von Muhammad Ali, eines Nachfahren von Sklaven. Ali, der Superschwergewichtsboxer, der vor einigen Wochen auf der Frankfurter Buchmesse allen die Show gestohlen hat, den Naddels und Bohlens ebenso wie den schauspielernden Verlegerwitwen in der Paulskirche oder den Russendisko veranstaltenden Autorendarstellern auf der Messe.
Die Pointe an diesem Marketing-Clou: Muhammad Ali sagte auf der Buchmesse kein einziges Wort. Er hat auch kein einziges Wort geschrieben. In dem ganzen 33 Kilo schweren und 3000 Euro teuren Buch des Taschen-Verlags findet sich kein einziger Satz aus neuerer Zeit von Ali. Muhammad Ali kann nicht mehr schreiben. Ob er es je konnte, steht mir nicht an zu beurteilen, heute ist er jedenfalls zu krank dazu. „I am the greatest.“ In Frankfurt war Ali das wirklich. Ich bin zufällig während der Buchpräsentation an dem vom Taschen-Verlag eigens aufgebauten Boxring in Halle 4.0 ganz in der Nähe des neuen Übersetzerforums vorbeigekommen und erlebte, wie ich glaube, einen Kairos im Strukturwandel der literarischen Öffentlichkeit, einen Moment der Entscheidung, in welche Richtung sich die Buchkultur in Deutschland entwickeln wird: ein Mann, der nicht reden und nicht schreiben kann, wurde in diesem Moment zum meistgefeierten Star der Buchmesse. Und zwar mit einem Buch, das in diesem Moment nur als Blindband existierte, ein Buch mit leeren Seiten also, das noch niemand gelesen haben konnte.
Es gibt Bilder, die sich einprägen: dieses zählte dazu. Es war folglich nur konsequent, dass das Bild von Muhammad Ali im Boxring das Bild der diesjährigen Buchmesse wurde und international durch unzählige Medien lief.

„I am the greatest.“ Dieser Satz bringt eine Entwicklung auf den Punkt, die in immer rasenderer Geschwindigkeit immer größere Teile des kulturellen Felds erfasst und auch vor der Arbeit der literarischen Übersetzer und der Bibliothekare nicht halt macht. Es ist die vielbeschworene Spaß- und Eventkultur, die Deutschland-sucht-den-Superstar-Kultur oder wie die aktuelle Manifestation des in jeder neuen Verpuppung stets aufscheinenden, ewig-gleichen Jeder-gegen-jeden-Prinzips auch immer heißen mag.
Dieses Jeder-gegen-jeden-Prinzip, so unterhaltsam, kurzweilig und amüsant es in seiner jeweiligen ästhetischen Ausspielung auch wirken mag, ist die genaue Antithese meiner Arbeit, der Arbeit des Europäischen Übersetzer-Kollegiums in Straelen, und übrigens auch die Antithese der Ideen Karl Benjamin Preuskers, in dessen Namen diese Arbeit heute geehrt wird.

„Ich möchte darauf hinweisen, dass große Dinge nicht immer in großen Städten geschehen und nicht immer mit irrsinnigem Tamtam und Popp und Hopp, das schnell zerplatzt. Ich glaube, dass hier etwas ganz Großartiges geschehen ist, was wahrscheinlich bis heute fast einmalig ist.“ Dies sagte Heinrich Böll, neben Max Frisch und Samuel Beckett einer der Schirmherren des Kollegiums, anlässlich der Eröffnung des neuen EÜK-Domizils 1985. Nun war Heinrich Böll dem Pathos nicht abgeneigt. Den Nobelpreisträger gleichwohl nicht ins Unrecht zu setzen, versucht das Team des Übersetzer-Kollegiums jeden Tag aufs Neue.
Sie merken, ich spreche von Team, und dies keineswegs in jener eingangs angedeuteten Sprache der Bescheidenheit, die allzu lange die Sprache der Bibliothekare und literarischen Übersetzer war. Jedes Lesen ist Übersetzen. Und Lesen und Übersetzen ist nun einmal Teamarbeit: Teamarbeit zwischen Autor und Leser, Text und Übersetzer, in Straelen zwischen Übersetzer und Bibliothekar. Literarische Übersetzer werden traditionell mit Einsamkeit in Verbindung gebracht. Schon ihr Schutzpatron, der Einsiedler Hieronymus, war ein rechter Griesgram und verkörpert nicht eben barocke Lebensfreude, wie er über seinen Büchern schwitzend im Gehäus dargestellt wird. Übersetzer „wirken im stillen“, „vergraben sich“, führen ein „Eremitenleben“ und trauen sich selten aus ihrem „Schneckenhaus“, weil sie „das Licht der Öffentlichkeit“ scheuen. So die Legende. Ob dieses Bild je gestimmt hat, weiß ich nicht, es stimmt jedenfalls immer weniger: Nicht alle Übersetzer sind solch lichtscheues Gesindel, und viele hätten nichts dagegen einzuwenden, wenn ihre Arbeit „in der Welt draußen“ ein größeres Echo fände.

Am Anfang des Europäischen Übersetzer-Kollegiums stand eine Vision, die man heute wohl kommunitaristisch nennen würde: kein arrogantes „I am the greatest“, sondern eher Realisierung, dass wir alle besser werden, wenn wir uns gegenseitig helfen, oder wie es der gute alte Karl Marx so schön formuliert hat: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ Es war die Vision, eine Begegnungsstätte für literarische Übersetzer zu schaffen, einen Ort des kosmopolitischen Austauschs ebenso wie der konzentrierten Arbeit, eine Bibliothek vieler unterschiedlicher Schriftkulturen mitten in einer Grenzregion. Genau fünfundzwanzig Jahre nach den ersten konzeptuellen Vorüberlegungen ist die Vision tagtäglich erfahrbare Wirklichkeit geworden: Im Europäischen Übersetzer-Kollegium kann man kontinuierlich an dem jeweiligen Projekt arbeiten und entgeht doch der „depressiven Verstimmung“, die sich in der Isolation am heimischen Schreibtisch zuweilen einstellt. Der Kontakt zu anderen Kollegen ermöglicht, was im Übersetzeralltag zu kurz kommt: Man blickt über den eigenen Tellerrand. Schließlich ist ein großer Teil des literarischen Übersetzens Handwerk, und wie in jedem Handwerk gibt es Tricks und Kniffe, die man sich bei anderen abschauen kann – man muss das Rad ja nicht immer neu erfinden.

Literarische Übersetzer sind eine besondere Benutzergruppe in Bibliotheken. Wer selbst schon einmal versucht hat, eine Kurzgeschichte ins Deutsche zu übertragen, wird rasch gemerkt haben, dass literarisches Übersetzen dort anfängt, wo einen die Standardlexika im Stich lassen. Die Recherchen literarischer Übersetzer decken fast den gesamten Wissenskosmos ab – schließlich kann kein Mensch in allen Kulturen, in allen Wortfeldern der Welt zu Hause sein. Literarische Texte spielen aber nun mal in allen möglichen Milieus, ihre Protagonisten haben alle möglichen Berufe und Hobbys; alle Fachsprachen, Soziolekte und Dialekte können in ihnen aufscheinen.

Je nach der im Roman abgebildeten – oder konstituierten – Wirklichkeit müssen sich Übersetzer dann innerhalb kürzester Zeit in verschiedenste Fachsprachen einarbeiten, Sachverhalte aus allen Kultur- und Lebensbereichen klären und Zitate aus obskuren Quellen ermitteln. Herzstück des Kollegiums bildet daher die rund um die Uhr zugängliche Bibliothek, die speziell auf die Bedürfnisse literarischer Übersetzer ausgerichtet ist und Nachschlagewerke in 270 Sprachen und Dialekten – von Avesta bis Zulu – und eine Bibliothek mit Werken der Weltliteratur – meist in Original und Übersetzung – umfasst.

Ein Sammelauftrag, der da lautet: „alle relevanten Nachschlagewerke in allen Sprachen“, ist natürlich eher ungewöhnlich. Er bedeutet, für alle möglichen Sprachenkombinationen alle relevanten Nachschlagewerke zur Verfügung zu stellen, die möglichst alle Informationsbedürfnisse befriedigen. Natürlich muss die Erfüllung dieses Auftrags auch in Zeiten des Internet letztlich Utopie bleiben, doch Monat um Monat erfüllt die Kollegiumsbibliothek ihn ein klein wenig besser.

Karl Preusker hätte übrigens sicher Gefallen gefunden an unserer Bibliothek: er war eben nicht nur ein Vorkämpfer für die Idee der öffentlichen Bibliothek für jedermann, sondern engagierte sich daneben noch auf so unterschiedlichen Gebieten wie Pädagogik und Statistik, schrieb Aufsätze über die High Tech und Biotechnologie seiner Zeit, nämlich über die Cholerabekämpfung im Jahre 1831 und die erste größere deutsche Eisenbahnstrecke zwischen Leipzig und Dresden, und widmete sich außerdem intensiv seinem Hobby, einer Sammlung alter Enzyklopädien. Alles in allem, so stelle ich mir Karl Preusker vor, entspricht er mit diesen Interessen den Übersetzern, die die Bibliothek in Straelen heute nutzen.

Dass es diese Bibliothek gibt, verdankt sich einer ganzen Reihe engagierter Übersetzer, die in den 70er Jahren Abschied vom Prinzip „I am the greatest“ nahmen, allen voran den Hauptinitiatoren des Europäischen Übersetzer-Kollegiums Elmar Tophoven und Klaus Birkenhauer. Wenn ich heute mit großer Freude die Karl-Preusker-Medaille durch die Deutsche Literaturkonferenz und ihrer Verbände erhalte, dann sehe ich diese Auszeichnung als Anerkennung einer Idee, die in Gestalt des Europäischen Übersetzer-Kollegiums in diesem Jahr 25 Jahre alt geworden ist, einer Idee, die ich heute als immer notwendigeres Korrektiv zum Jeder-gegen-jeden-Prinzip unserer Kultur und unserer Gesellschaft sehe, einer Idee, die ich mit Blick auf die anwesenden literarischen Übersetzer heute so formulieren möchte: You are the greatest. Vielen Dank.

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