Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Paul Raabe

Preisträger 2006 der Karl-Preusker-Medaille

Preisträger der Karl-Preusker-Medaille 2006 ist Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Paul Raabe, der die Auszeichnung in Würdigung seines Lebenswerks erhält.

Seit 60 Jahren ist er mit seinem Ideenreichtum, seinen Visionen und deren konsequenter und nimmermüder Umsetzung in die Praxis in und für Bibliotheken aktiv.

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Urkunde

 

Die Deutsche Literaturkonferenz,welche im Gedenken an Karl Benjamin Preusker,
den Pionier der Volksbüchereibewegung,
Gründer der ersten deutschen Bürgerbibliothek 1828
im sächsischen Großenhain, dieKarl-Preusker-Medaille

gestiftet hat, verleiht diese Auszeichnung

Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Paul Raabe

für sein Lebenswerk, das das Gesicht deutscher Bibliotheken auf besondere Weise geprägt
und das auch in der europäischen Welt Nachahmer gefunden hat.

Berlin, den 24. Oktober 2006

Für die Deutsche Literaturkonferenz

Burkhart Kroeber

Dr. Georg Ruppelt

Während des Festaktes zu Paul Raabes 70. Geburtstag in den Franckeschen Stiftungen zu Halle 1997 bezeichnete der ehemalige Außenminister und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland, Hans-Dietrich Genscher, Paul Raabe als einen Glücksfall für die Kultur und Wissenschaft in Halle/S., aber auch als Glücksfall für das geeinte und Einheit suchende Deutschland wie für Europa. Ein Glücksfall ist Paul Raabe auch für das deutsche und europäische Bibliothekswesen.
Der in Oldenburg und Hamburg zum Diplombibliothekar an wissenschaftlichen Bibliotheken ausgebildete Raabe hat wie sein großer Vorgänger Leibniz konsequent nach dem Motto „theoria cum praxi“ gedacht und gehandelt. Seine Erfolge in Wissenschaft, Kulturpolitik und Bibliothekswesen sind das Ergebnis seiner Ideen, seiner Visionen und deren konsequenter und nimmermüder Umsetzung in die Praxis. Sie sind die Folge aus der glücklichen und seltenen Verbindung, Einheit von Gedanke und Tat, von Reflexion und praktizierter Humanität – einer Humanität, die die Persönlichkeit Paul Raabe in so außergewöhnlicher Weise auszeichnet. Marbach, Wolfenbüttel, Halle/S. und wiederum Wolfenbüttel markieren Hauptstationen auf der Weg- und Wirkungsstrecke dieses großen Gelehrten und Bibliothekars.
Paul Raabe hat immer die Gesamtheit aller Bibliotheken im Blick gehabt, und obwohl er in Marbach und Halle/S., besonders aber in Wolfenbüttel wissenschaftliche Bibliotheken zu größter Leistungsfähigkeit geführt, sie zu Leuchttürmen in der internationalen Bibliothekswelt gemacht hat, hat er auch immer besonders die Öffentlichen Bibliotheken als unverzichtbare Kultur- und Bildungseinrichtungen geschätzt und sie auf vielfältige Weise gefördert.
Dies zeigt sich ganz konkret in seinem kulturpolitischen Engagement nach seiner Rückkehr von Halle/S. nach Wolfenbüttel vor wenigen Jahren. Ihm ist die Gründung des Kulturstadtvereins Wolfenbüttel zu danken, der mit seinen zahlreichen Aktivitäten die kulturelle Szenerie der 50.000-Einwohner-Stadt niveauvoll optimiert. Ihm ist es zu danken, dass aus dem historisch bedeutsamen Wolfenbütteler Bahnhof, der sich seit zwei Jahrzehnten in einem unerträglichen baulichen Zustand befand, ein wunderbar restaurierter „Kulturbahnhof“ geworden ist, der in einem Anbau auch die Öffentliche Bücherei der Stadt angemessen und leserfreundlich aufgenommen hat. Allein für die Umsetzung dieser Idee hätte Paul Raabe die Karl-Preusker-Medaille verdient.

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Begrüßung zur Verleihung der Karl Preusker-Medaille am 24. Oktober 2006

muellerKlaus-Peter Müller
Landesbilbliothek Oldenburg

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

schönen guten Tag, ich begrüße Sie ganz herzlich heute Nachmittag in der Landesbibliothek Oldenburg. Meine Damen und Herren, Fräulein Möller war ganz offensichtlich eine gute Lehrerin. Sie brachte ihren achtjährigen Zöglingen ihre Heimatstadt nahe, lehrte sie deren Flüsse und Straßen und sorgte für Kenntnisse auch über Umland und Region, erklärte die Unterschiede zwischen Marsch, Moor und Geest und erzählte Sagen und Geschichten aus Stadt und Land. Sie legte damit den Grundstein unseres heutigen Zusammentreffens hier in Oldenburg (neben der Rankenstraße).

Man lernt über Frau Möller und ihr pädagogisches Geschick aus der autobiographischen Schlußnote eines Buches, worin titelgebend im ersten kurzen Abschnitt geschildert wird, welche Bewandtnis es mit der weiten Reise und einem kurzen, höchst unerfreulichen Aufenthalt eines späterhin großen Dramatikers hatte. „Wie Shakespeare durch Oldenburg reiste“, heißt es, und was es sonst noch vorhat, beschreibt der Untertitel: „Skizzen und Bilder aus der oldenburgischen Kulturgeschichte“. Es beweist dann auch auf eine höchst unterhaltsame Art und Weise, dass es in diesem doch etwas abgelegenen Landstrich, mit dem man in der Regel Milch und Pferde und in neuerer Zeit vielleicht auch die Produktion von Hähnchen assoziiert, wenn man denn außer der Vorstellung von grenzenloser Plattheit, die irgendwie ins Meer ausläuft, überhaupt irgendwelche Assoziationen damit verbindet, – es belegt, dass es in dieser kleinen Ackerbürgerstadt, in diesem Duodezfürstentum außerdem auch ein durchaus reiches kulturelles Leben in vielen Schattierungen gegeben hat. Schon allein dafür, für die Verbreitung dieser notwendigen Korrektur und Ergänzung gängiger Vorstellungen, Herr Prof. Raabe, herzlichen Dank.

Denn wie Sie alle wissen, ist der heutige Preisträger der Verfasser des Werks. Die Skizzen verdanken sich einer Überarbeitung von sog. „Heimatbeiträgen“, die Sie in der hiesigen Nordwestzeitung zwischen 1949 und 1955 publiziert und vor fast genau 20 Jahren als Buch herausgegeben haben. Ich erinnere mich recht genau an Ihre Besuche in der alten Landesbibliothek in diesem Zusammenhang, die Sie ja aus anderen Anlässen auch in den neuen hiesigen Räumlichkeiten durchaus ab und an wiederholt haben.

Hier in der Bibliothek haben Sie Ihre wissenschaftliche Karriere begonnen, deren steiler Verlauf , wie Sie selbst in den „Skizzen“ 40 Jahre nach Ihrem Oldenburger Beginn schreiben, Ihre „nie verlorengegangene Verbundenheit mit der Heimat“ nicht hat stören oder einschränken können. Und sie hält auch 20 Jahre nach Erscheinen des Buches an. Vor kurzem haben Sie Ihre Expressionismus-Sammlung und Ihr Archiv der Landesbibliothek versprochen und werden damit großen Anteil daran haben, dass auch folgende Generationen Ihre Skizzen und Bilder aus der oldenburgischen Kulturgeschichte werden fortsetzen können. Dafür herzlichen Dank und ein herzliches Willkommen zuhause, in Ihrer „geistigen Heimat“ Landesbibliothek, wie Sie in Ihrer Autobiographie schreiben, der Bibliothek Dr. Wolfgang Fischers.

Beides, Dank und Willkommen – ohne den heimatlichen Zusatz – im Namen der Bibliothek auch an die „Deutsche Literaturkonferenz“ – an Frau Iris Mai und Herrn Dr. Burkhart Kroeber -, die heute die Karl-Preusker-Medaille an Prof. Raabe verleiht. Ich gratuliere Ihnen zur Wahl des Preisträgers und bin Ihnen von Herzen dankbar, dass Sie sich als Ort der Ehrung auf die Landesbibliothek eingelassen haben. Mit Ihrer Anwesenheit ist alles, was Rang und Namen im gegenwärtigen literarischen Deutschland hat, heute in der Landesbibliothek versammelt, darunter auch die BID, „Bibliothek & Information Deutschland“, ein Dachverband, dem mit dem „Deutschen Bibliotheksverband“ auch eine Organisation angehört, zu deren Mitgliedern die Landesbibliothek zählt. Sehr geehrte Frau Mai, sehr verehrter Herr Dr. Kroeber, wir wissen die Ehre zu schätzen.

Gewissermaßen um den Kreis zu runden, zu komplettieren, sei angemerkt, dass der heutige Laudator, Dr. Georg Ruppelt, Leitender Bibliotheksdirektor der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover, 10 Jahre im Vorstand eben dieses Verbandes „Bibliothek & Information Deutschland“ gewirkt hat, von 2000 bis 2006 als deren Sprecher, und zudem zweiter Sprecher der „Deutschen Literaturkonferenz“ ist. Herr Ruppelt, als Landesbibliotheken in Niedersachsen haben wir neben den individuellen Eigenheiten, auf die wir stolz sind und die wir gewissenhaft pflegen, viele gemeinsame Interessen, die uns auch gerne und erfolgreich kooperieren lassen. Erst vor einem Monat hatten wir Sie hier zu Gast, als Sie uns in die von Ihnen konzipierte Ausstellung zu den Tarnschriften eingeführt haben, die hier immer noch zu sehen ist. Es freut mich, dass wir uns so rasch wieder sehen. Möge es so bleiben!

Aber heute wird nicht nur geredet, meine Damen und Herren, es wird auch musiziert und getanzt. Ebenfalls aus der Landeshauptstadt kommt „transito“, kommen Frau Ursula Wagner, Herr Burkhard Schweller und Frau Lenka Zupkova (mit der Geige), um für einen lebhaften Rahmen und Schlußakzent zu sorgen. Sie haben die Landesbibliothek vor einiger Zeit ja schon sorgsam ins Auge genommen und sich auch heute wieder umgetan. Ich gestehe, ich bin einigermaßen ahnungslos und sehr gespannt auf das, was kommt, und heiße Sie herzlich willkommen.

Und das gilt natürlich schließlich und ganz besonders für Sie, meine Damen und Herren. Ich freue mich, dass Sie der Einladung der „Deutschen Literaturkonferenz“ in unser Haus gefolgt sind und übergebe nun das Wort dem Gastgeber des heutigen Nachmittags, dem Sprecher der „Deutschen Literaturkonferenz“, Herrn Dr. Burkhart Kroeber.

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Theoria cum praxiLaudatio auf Paul Raabe
anlässlich der Verleihung der Karl-Preusker-Medaille
durch die Deutsche Literaturkonferenz
am 24. Oktober 2006 in der Landesbibliothek Oldenburg

Georg Ruppelt

laudatioEine Laudatio auf Paul Raabe zu halten, ist ungeheuer schwer. Ich will diese Schwierigkeit mit einer Anekdote umschreiben, für deren Wahrheitsgehalt ich mich verbürgen kann. Es war zu Beginn der achtziger Jahre, also ziemlich genau vor einem Vierteljahrhundert, als ich mit etwa 20 Hamburger Germanistik-Studenten auf Einladung Paul Raabes nach Wolfenbüttel fuhr, um an der Herzog August Bibliothek ein schönes Wochenende lang unsere Seminararbeit intensiv zu betreiben. In dem Arbeitsraum, der uns zur Verfügung gestellt wurde, lagen noch Papiere einer literarischen Gesellschaft aus, die vor uns hier getagt hatte. Die Studenten blätterten darin herum und riefen dann verblüfft aus: „Das ist ja ein Ding! Eine eigene Gesellschaft hat er jetzt auch schon!“ Getagt hatte vor uns der Vorstand der Braunschweiger Raabe-Gesellschaft … Damals war Paul Raabe gerade einmal 54 Jahre alt!

Die Tatsache, dass es sich hier um die Verleihung der Preusker-Medaille handelt, erleichtert mir die Sache etwas. Es geht heute also hauptsächlich um den Bibliothekar Paul Raabe, von dem der Gelehrte, der Kulturpolitiker, der Publizist, der Literaturförderer oder auch der geniale Geldbeschaffer Paul Raabe in Wirklichkeit aber natürlich gar nicht getrennt werden kann.

Der Beruf des Bibliothekars, der auch für mich zu einem der schönsten Berufe überhaupt zählt, hat Paul Raabe in den vergangenen sechs Jahrzehnten geprägt, und er hat ihn selbst mitgeprägt. Vor zehn Jahren bezeichnete ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung als „Deutschlands bekanntesten Bibliothekar“, und das dürfte nach wie vor stimmen. Seine Bekanntheit ist begründet durch seinen Ideenreichtum, seine Visionen und deren konsequenter und nimmermüder Umsetzung in die Praxis. Es scheint, als hätte er sich das Lebensmotto seines großen Vorgängers Gottfried Wilhelm Leibniz zu eigen gemacht, der 40 Jahre lang die Fürstliche bzw. Königliche Bibliothek in Hannover und im Nebenamt 26 Jahre die Herzogliche Bibliothek in Wolfenbüttel leitete, das Motto nämlich: „Theoria cum praxi“.

Seit 60 Jahren ist Paul Raabe also in und für Bibliotheken aktiv – das dürfte wohl in unserer Zeit einmalig sein! Sein Wirken an verantwortlicher Stelle in Marbach, Wolfenbüttel, Halle und jetzt wieder in Wolfenbüttel hat nicht nur vor Ort zu positiven Veränderungen, ja zum Aufblühen der Institutionen geführt, an denen er tätig war und ist, sondern es hat auch weit darüber hinaus die bibliothekarische wie die kulturelle Gegenwart befruchtet.

Angefangen hat alles hier in Oldenburg, wo Paul Raabe auch am 21. Februar 1927 geboren wurde. In einem Interview, das ich mit ihm vor neun Jahren führen konnte, sagte er: „[…] mein berufliches Vorleben [begann] als Diplombibliothekar in Oldenburg, wo ich seit 1946 zunächst als Praktikant tätig gewesen bin und dort die ersten Erfahrungen im Umgang mit Büchern, vor allem auch mit alten Büchern gewonnen habe. Hier hatte ich auch die erste Berührung mit der Wissenschaft durch meinen ersten Mentor, das war Dr. Fischer, der gerade aus dem Krieg zurückgekommen war – ein hervorragender Bibliothekar und guter Kunsthistoriker. Hinzu kommt dann meine Ausbildungszeit in Hamburg an der dortigen Bibliotheksschule, die Begegnung mit meinem zweiten Mentor, Dr. Kurt Otte, in dessen Kubin-Archiv ich gearbeitet habe und mein erstes Buch über Alfred Kubin habe zusammenstellen können. […] Das ist die Vorgeschichte, und ich würde deshalb meinen, eine schönere Einführung in das berufliche Leben kann man sich nicht wünschen, zumal ich dann als Diplom-Bibliothekar auch noch die Chance hatte zu studieren, d. h. nebenher zu studieren, da ich immer sechs Stunden arbeiten musste.“

1953 heiratete Raabe Mechthild Holthusen, für deren bibliothekarische Ausbildung er an der Landesbibliothek verantwortlich war. Über sie, die er im Juni 2005 verlor, schreibt er in seiner Autobiographie der Wolfenbütteler Jahre 1992: „Meine Frau hat meine Sorgen und Erfolge mit mir geteilt, sie hat sie mit kritischem Verstand und praktischer Unterstützung begleitet. Sie hat mir die Kümmernisse des Alltags abgenommen und alle Unbequemlichkeiten aus dem Weg geräumt. Sie hat ihren bleibenden Anteil an dem Werk, von dem ich erzählt habe.“

Nach Jahren als Forschungsassistent an der Hamburger Universität und einer Promotion mit einer Studie zu den Briefen Hölderlins ging Raabe 1958 für zehn Jahre als Bibliothekar an das neu gegründete Deutsche Literaturarchiv am Schiller-National-Museum in Marbach. Gern erzählt er auch heute noch von den Katalog-Verhältnissen, die er dort antraf. Sein Bericht erinnert ein wenig an die berühmte Kleist-Anekdote – die mit den Gespenster-Romanen, Sie wissen schon …

Das Schiller-National-Museum also hatte einen zweigeteilten Alphabetischen Katalog. Ein Alphabet war den schwäbischen Dichtern vorbehalten, das andere den nicht-schwäbischen. Folgerichtig fand man im zuletzt genannten etwa die Namen von Goethe, Shakespeare, Hemingway oder Dostojewskij …

Paul Raabe nun machte sich daran, diese Schwabenzentrierte Einrichtung in eine echte Bibliothek für die Forschung umzugestalten. Daneben war er mit der Konzeption der Ausstellungen im Schiller-Nationalmuseum betraut. Seine Expressionismus-Ausstellung wie die sie begleitenden Bücher wurden legendär und machten den literarischen Expressionismus in Deutschland eigentlich erst wirklich präsent. Man muss Paul Raabe in geselliger Runde auch unbedingt auf seine damaligen Kontakte zu zahlreichen lebenden Schriftstellern ansprechen, besonders aber zu Dichter-Witwen. Das Ergebnis wird lehrreich sein, aber auch Reaktionen auslösen, die vom Schmunzeln bis zu schallendem Gelächter reichen.

In dem schon erwähnten Interview hatte ich ihm die Frage gestellt: „Was halten Sie von der Ansicht, dass Bibliothekare nicht wissenschaftlich arbeiten sollten, um sich ganz dem Management der Bibliothek widmen zu können?“ – Seine Antwort ist Programm für ein Berufsprofil oder sollte es doch (wieder) sein: „Ich kann mir den bibliothekarischen Beruf in leitenden Funktionen nicht vorstellen ohne eine wissenschaftliche Betätigung. Denn es ist ja die wissenschaftliche Neugier, die auch nötig ist, wenn man Wissenschaftler, die eine Bibliothek benutzen wollen, anleiten und zu den Büchern hinführen soll. […] Deshalb habe ich die Bibliothek in Marbach aufgebaut, gleichzeitig auch als Wissenschaftler. […] Das gehörte für mich zusammen, denn der Bibliothekar soll ja schließlich ein Partner des Wissenschaftlers sein, und dieses kann er nur sein, wenn er auch selbst wissenschaftlich tätig ist.“ Und er fährt fort:

„Die gleiche Erfahrung habe ich selbstverständlich in Wolfenbüttel gemacht. Ich musste ja in Göttingen habilitieren, da ich nicht die beamtenrechtlichen Voraussetzungen für den Höheren Bibliotheksdienst besaß und über fünf Ausnahmegenehmigungen von Beamten zu einem Beamten gemacht worden bin. Aber auch hier habe ich erlebt, dass der Umgang mit den Wissenschaftlern die Voraussetzung zur Neugestaltung der Bibliothek und zum Ausbau einer Forschungsbibliothek war.“

Nun also Wolfenbüttel! Der Reformator der Herzog August Bibliothek betrat 1968 diese berühmte Bühne, die aber merkwürdigerweise lange Jahre mehr für sich selber zu spielen schien als für ihr Publikum. Ein anekdotenhafter, aber verbürgter Vorfall aus den fünfziger Jahre sagt mehr über den Zustand der Bibliothek in den ersten zwei Dritteln des letzten Jahrhunderts aus als jeder Bericht. Eines Mittags kam ein Bote der Bezirksregierung aus Braunschweig an die Pforte der Bibliothek und begehrte Einlass. Sein Begehr war, den Angestellten die Gehälter auszuzahlen. Trotz mehrfachen Klingelns aber blieb das Portal verschlossen, und unverrichteter Dinge musste der Geldbote zurückfahren. Auf seine telefonische Nachfrage am nächsten Tag wurde ihm geantwortet. „Ach, wenn wir gewusst hätten, dass Sie es sind Herr Lange, hätten wir Ihnen natür-lich aufgemacht. Wir dachten, es sei ein Benutzer.“

Als Paul Raabe die Bibliothek 1992 verließ, waren aus zwei Häusern, die bei seinem Amtsantritt zur Bibliothek gehörten, acht geworden; aus 30 Mitarbeitern über 200. Aus dem Bibliotheksdornröschen und der bibliotheca illustris, so wie sie sein Amtsvorgänger Erhart Kästner als Ideal gesehen hatte, war eine Institution mit Weltrenommee erwachsen; ihre Stellung in der internationalen Gelehrtenwelt wie im regionalen Kulturbetrieb war 1992 gesichert.

In Wolfenbüttel hatte Raabe zunächst den Umbau der Bibliotheca Augusta weiter zu betreiben und er legte er Wert darauf, sie zu öffnen. Er sah sich dabei mit der Problematik konfrontiert, dass eine große alte Universalbibliothek wie die Herzog August Bibliothek in einer Stadt mit rund 50.000 Einwohnern kaum den Benutzerkreis finden konnte, der ihr gebührte.

Mit Hilfe der Volkswagenstiftung, einer neu gegründeten Freundesgesellschaft und vor allem des Landes Niedersachsen baute er die Bibliothek seit 1974 gezielt zu einem internationalen Forschungszentrum für die Geistes- und Kulturgeschichte Europas aus.

Daneben und zur Unterstützung des Forschungsprogramms entwickelte Raabe ein Kulturprogramm, das dazu beitrug, dass die Herzog August Bibliothek Akzeptanz als kulturelles Zentrum in der Region und in Niedersachsen bei einer breiten Öffentlichkeit fand.

Paul Raabe wusste, dass es in einer Position wie dem Wolfenbütteler Direktoriat nicht genügt, sich nur mit geistigen Konstrukten zu beschäftigen, losgelöst von jeglicher Praxis; er wusste, dass die geisteswissenschaftliche Forschung Grundlagen braucht. Und so waren es denn seine Katalogprojekte – zunächst noch in konventioneller Form mit Zetteln, ich erinnere besonders an die Titelblattkopien -, die auf verschiedene Weise die alten Bestände vor allem inhaltlich erschlossen. Ich erinnere auch an die großen Ausstellungen, deren Kataloge selbst wiederum Erschließungsmittel für die Bibliothek waren, vom wissenschaftlichen Gewinn und dem ästhetischen Genuss einmal ganz abgesehen.

Als Direktor einer alten Bibliothek hatte Paul Raabe sehr früh einen Sinn für die neuen Medien, die neue Technik, die in Gestalt der Computer schon Mitte der 80er Jahre Einzug in die Herzog August Bibliothek hielt. Gemeinsam mit seinem Stellvertreter gelang es ihm Anfang der 90er Jahre, das damals fortschrittlichste EDV-Programm für Bibliotheksverbünde zunächst nach Wolfenbüttel und später nach ganz Niedersachsen zu holen. Von dort aus migrierte es in sieben Bundesländer. Heute wissen nur noch wenige, dass der Siegeszug des niederländischen PICA-Systems in Deutschland von Wolfenbüttel ausging.

Unter Raabes Leitung erlebte die Herzog August Bibliothek eine Zeit der Blüte, die nicht auf die Bibliothek allein beschränkt blieb. Das von Raabe verwirklichte Konzept wurde Vorbild für viele andere Einrichtungen. So entstanden nach Wolfenbütteler Muster etwa in Augsburg, in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, in Göttingen, Eutin, Emden, Hildesheim, in Weimar und natürlich auch in Halle Institutionen, die als Forschungsbibliothek einen hohen Anspruch zu verwirklichen suchen.

1992 wurde die offizielle Pensionierung Raabes kräftig gefeiert. Das Wort vom Unruhestand ist heute in inflationärem Gebrauch; auf Raabe traf es zu, denn er machte sich nun mit ganzer Kraft daran, die Wiedergeburt der Franckeschen Stiftungen in Halle zu befördern, die er bereits seit einigen Jahren eingeleitet hatte. Hier stand das Wolfenbütteler Modell Pate, denn u. a. war es natürlich auch eine Bibliothek, die in den Stiftungen in jeder Hinsicht zu erneuern oder ganz neu einzurichten war. Nie ist mir die Bedeutung des Satzes aus Schillers Tell „Und neues Leben blüht aus den Ruinen“ evidenter gewesen als bei einem wiederholten Besuch in Halle vor einigen Jahren.

Als Berater großer Bibliotheksprojekte blieb Raabe aber auch nach seinem Abschied aus Halle im Jahr 2000 bibliothekspolitisch aktiv. Immer auch galt seine besondere Sympathie den Öffentlichen Bibliotheken, von denen nach seiner Meinung auch wissenschaftliche Bibliotheken eine Menge lernen könnten. In dem schon mehrfach zitierten Interview von 1997 äußerte er sich vor dem Hintergrund der damals aktuellen Abwicklung des Deutschen Bibliotheksinstituts über Öffentliche Bibliotheken folgendermaßen: „Ich bin der Überzeugung, dass gerade auch die Öffentlichen Bibliotheken in der heutigen Informationsgesellschaft eine ganz entscheidende Rolle spielen in der Vermittlung von Wissen und Kenntnissen und auch zur Unterhaltung. Das Lesen als eine lebenslange Aufgabe zu verstehen, Lesen zu fördern, das kann man am besten in einer Öffentlichen Bibliothek, von der Kinderbibliothek an, tun. Bibliotheken dieser Art sollten auch die Heimstätte der Pensionäre sein und der Aufenthalt für diejenigen, die leider in unserer Gesellschaft keine Arbeit haben. Hier sind große soziale bibliothekarische Aufgaben zu erfüllen.“

Natürlich war dies kein Lippenbekenntnis, wie sich seit 2001 in seinem Heimatort Wolfenbüttel zeigen sollte. Mit zäher Geduld und nimmermüder Überzeugungskraft gelang es Paul Raabe, den historisch wertvollen, aber gänzlich heruntergekommenen Bahnhof mit Hilfe von ihm ins Leben gerufener Kulturgremien in einen von einem privaten Investor finanzierten Kulturbahnhof umzuwidmen. In diesen aber zog vor wenigen Tagen die Stadtbücherei ein. Allein für diese Leistung hätte Paul Raabe die heute verliehene Preusker-Medaille verdient.

Das Phänomen Paul Raabe besteht für mich in einer seltenen Einheit von Gedanke und Tat, Theorie und Praxis, Reflexion und praktizierter Humanität. So wie Paul Raabe die angeblichen Gegensätze zwischen Wissenschaftler und Bibliothekar in sich vereinen konnte, so hat er in Wolfenbüttel, Marbach und Halle bewahrend und revolutionär zugleich gewirkt.

Paul Raabe hat viele Ehrungen für sein Lebenswerk erhalten, und das sehr zu Recht.

Mir will aber scheinen, dass die Ehrung durch die Preusker-Medaille seinem Wesen und seinen Ursprüngen ganz besonders nahe kommt.

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Dankworte zur Verleihung der Karl Preusker-Medaille am 24. Oktober 2006

preistraegerEs war, ich gestehe es, eine Überraschung, für langjähriges, aber auch lange zurückliegendes Wirken mit der Karl Preusker-Medaille von der Deutschen Literaturkonferenz ausgezeichnet zu werden. Es war mein Wunsch, diese Auszeichnung an dem Ort entgegennehmen zu dürfen, an dem meine bibliothekarische Tätigkeit als Vertreter des Hausmeisters vor 60 Jahren im Sommer 1946 begann, – in der Landesbibliothek Oldenburg.

Dies ist eine Gelegenheit, über den Mann zu sprechen, der mir meine bibliothekarische Laufbahn eröffnete und der sie entscheidend geprägt hat. Ich möchte in dieser festlichen Stunde an Dr. Wolfgang G. Fischer erinnern, den langjährigen Direktor dieses Hauses. Als ich ihn im Mai 1946 kennen lernte, wusste ich nicht, dass sein beruflicher Lebensweg so verlaufen war, wie er ihn wohl bald für mich vor Augen hatte. Er war in der sächsischen Kunstmetropole Dresden aufgewachsen, die seinen Kunstsinn und seinen ästhetischen Anspruch geprägt hat.
Da sein Vater früh verstorben war, konnte er nicht studieren. So wurde der Zwanzigjährige 1925 als Volontär am Deutschen Museum für Buch und Schrift in der Deutschen Bücherei Leipzig von dem damals sehr bekannten Buchhistoriker Albert Schramm aufgenommen. Dieser hatte zehn Jahre zuvor die Bibliotheksschule für den mittleren d. h. den späteren gehobenen Dienst gegründet. Dort machte der junge Fischer 1927 das Examen und wurde Bibliothekssekretär an der Leipziger Stadtbibliothek, die – im letzten Krieg vernichtet – eine der schönsten und reichsten in Deutschland war. Dort ermöglichte man ihm nebenher das Studium der Kunstgeschichte, das er mit dem Bibliotheksexamen und der Promotion über ein buchgeschichtliches Thema Die Blütezeit der Einbandkunst. Studien über den Stil des 15. bis 18. Jahrhunderts 1937 abschloss. Unter der Ägide seines Direktors Johannes Hofmann, der Fischer so wie dieser mich geprägt hat, entwickelte er sich, angeregt auch durch die hervorragenden historischen Bücherschätze, zu einem großen Kenner der Buch- und speziell der Einbandgeschichte. So verkörperte er die Vorstellung von einem wissenschaftlichen Bibliothekar, die längst Geschichte geworden ist.

Im Kriege war Dr. Fischer Soldat gewesen und arbeitete nach der Entlassung aus der Gefangenschaft zunächst einige Monate in der Marienbibliothek Jever, ehe er m Mai 1946 an die Landesbibliothek nach Oldenburg kam. Da er seinen Arbeitsplatz in Leipzig verloren hatte, war er in seine Heimat nicht zurückgekehrt.
Er war damals 41 Jahre alt, ein schlanker, hoch aufgeschossener Mann mit einem markanten Gesicht mit einigen Brandmalen, die es interessant machte, hoher Stirn, zurückgekämmtem Haar, blauen Augen und einem sicheren Auftreten, manche hielten ihn für hochmütig, da er außerordentlich redegewandt auftrat und sich durch einen scharfen Verstand auszeichnete. Ich habe ihn als hilfsbereiten, verständnisvollen Chef erlebt, dem ich die Freude an meinem bibliothekarischen Beruf verdanke, denn er verband die Liebe zu den alten und neuen Büchern mit seiner sozialen Einstellung: sein Lebensziel war es, den Menschen durch Förderung der Bildung zu helfen. Er verstand die Bibliothek als Bildungseinrichtung.

Die Oldenburger Landesbibliothek war am 23. September 1943 durch eine Luftmine schwer beschädigt worden und musste geräumt werden, was ich übrigens als Flakhelfer sogar miterlebt habe. Als mich Dr. Fischer bzw. der Staatsarchivdirektor Dr. Hermann Lübbing als kommissarischer Leiter zum 1. Juni 1946 als unbezahlten Praktikanten aufnahm, befand sich die Bibliotheksverwaltung, die Ausleihe und das Magazin der wieder aufgestellten Bücher im Dachgeschoss des Schlosses in einem Notquartier. Dr. Fischer, der nach und nach die Leitung der Bibliothek übernahm, aber erst 1949 offiziell zum Direktor ernannt wurde, sah als Neuer sofort, was zu tun war. Er stellte über das Ministerium des noch bestehenden Landes Oldenburg Kontakte zur englischen Militärregierung her, und es gelang ihm im Herbst 1946 – also ein gutes Jahr nach Beendigung des Krieges – das leer stehende Zeughaus an der Ofener Straße als neues Bibliotheksgebäude in die Hand zu bekommen. So erfolgte sofort der Umzug, für den Dr. Fischer die nötigen Fahrzeuge und Hilfskräfte über das Arbeitsamt besorgt hatte. Ich war damals, inzwischen Beamtenanwärter für den gehobenen Dienst an wissenschaftlichen Bibliotheken, an dem Umzug beteiligt und beaufsichtigte die Räumung der verschiedenen Auslagerungsorte. Es war, wie wir erst nachträglich realisierten, ein wahres Husarenstück in diesen unklaren Verhältnissen, das Dr. Fischer zu verdanken war.

In den nächsten Jahren hat der neue Chef die zerstörte Infrastruktur wiederhergestellt, die Bibliotheksverwaltung aufgebaut, für einen regelmäßigen Haushalt gesorgt, die notwendigen Personalstellen geschaffen, neue Bücher angeschafft, die Neuaufstellung der noch unsignierten alten Bestände betrieben und der Landesbibliothek ein neues Gesicht in dem stabilen Gebäude gegeben.

In den ersten Nachkriegsjahren war die Bibliothek von 8 – 22 Uhr geöffnet, der Lesesaals als „Wärmestube für geistige Arbeiter“ eingerichtet, denn der Mangel war groß. Dr. Fischer hatte sich vorgenommen, seine wissenschaftlichen Arbeiten wieder aufzunehmen, er war fasziniert von den Barockskulpturen Ludwig Münstermann, aber das geplante Buch kam bei der Vielzahl seiner Verpflichtungen nicht zustande.
Er sah seine Hauptaufgabe in dem Bemühen, die Bildungseinrichtungen zu fördern. So baute er die Volkshochschule seit 1946 auf, hielt selbst Kurse über die Geschichte der modernen Kunst, in denen ich übrigens viel gelernt habe und widmete sich dem Neuaufbau der Staatlichen Fachstelle für das öffentliche Büchereiwesen, dessen Leitung er übernahm. So hat sich Dr. Fischer über das Amt des Bibliotheksdirektors der Landesbibliothek Oldenburg hinaus große Verdienste um die Fort- und Weiterbildung im Oldenburger Land erworben.

Im Herbst 1968 ging Dr. Fischer in Pension, gerade in den Monaten, in denen ich die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel übernahm, nachdem ich zehn Jahre die Bibliothek des Deutschen Literaturarchivs in Marbach am Neckar aufgebaut hatte.
Fünf Jahre später starb er nach einer schweren Krankheit, ich habe an seinem Sarg damals die Gedenkrede gehalten. Ich hatte meinen Lehrer verloren, der mir meinen beruflichen Werdegang über die Ausbildung und das Studium ermöglicht und ihn über Jahre mit Rat und Tat begleitet hatte. An ihn heute, am Tag der Bibliotheken, zu erinnern, lag mir am Herzen.

Nun werden Sie fragen, was ich denn eigentlich Dr. Fischer verdanke. Nun, er sorgte dafür, dass in der Landesbibliothek ausgebildet werden konnte, denn damals gab es noch eine verwaltungsinterne Ausbildung. Die entsprechende Verordnung wurde im September 1946 erlassen, gewissermaßen eine Lex Raabe. Gern erzähle ich auch, dass ich noch auf die oldenburgische Verfassung am 1. Oktober vereidigt wurde. Die praktische Ausbildung bestand darin, dass ich mir die Arbeitsgänge in einer wissenschaftlichen Bibliothek selbst aneignete. Dr. Fischer gab mir am ersten Arbeitstag zwei Bücher in die Hand: die Preußischen Instruktionen und Georg Schneiders Einführung in die Bibliographie. Sie wurden mein entscheidendes Rüstzeug: Ich lernte so autodidaktisch das Regelwerk, nach dem ein Buch zu katalogisieren war. Es ist im elektronischen Zeitalter nur noch bedingt brauchbar. Und das Bibliographieren habe ich so verinnerlicht, dass es für mich immer noch ein Herzstück des bibliothekarischen Berufes darstellt. Ein drittes Werk empfahl mir Dr. Fischer etwas später; Hermann Barges Geschichte der Buchdruckerkunst. So lernte ich die Welt der Bücher aus der Anschauung und der historischen Darstellung kennen.

Der praktischen Ausbildung folgte ein theoretisches Jahr an der Bibliotheksschule in Hamburg. Nach dem Examen wurde ich 1949 als Diplombibliothekar angestellt und war ein Mädchen für alles. Die größte Befriedigung brachte die Tätigkeit in der Ausleihe, dort konnte ich die Leser manchmal beraten und Auskünfte geben. Ich pflegte dann immer im Laufschritt ins Magazin zu rennen und die gesuchten Bücher umgehend heranzuschaffen. Der Höhepunkt dieser Bücherjagden war das Suchen eines bestimmten Buches in den Haufen der noch nicht wieder aufgestellten Bücher, die samt und sonders noch keine Individualsignaturen hatten. An die nicht gerade häufigen Erfolge erinnere ich mich gern.

„Auspunkten“ nannten wir die Arbeit im Magazin. In den Bänden der Realkataloge waren inzwischen die eingetragenen Bücher durchnumeriert worden, und nun mussten wir die unsignierten Bücher den Eintragungen zuordnen. Ich habe das mühselige Geschäft immer als Sport empfunden. So habe ich mir eine große Bücherkenntnis aneignen können.

Nach drei Jahren erklärte mir meine verehrte Freundin, was ich mir zu Herzen nahm: „Herr Raabe, Sie müssen studieren“. Dr. Fischer machte das Unmögliche möglich. In den ersten drei Semestern pendelte ich zwischen Oldenburg und Hamburg, an vier Tagen machte ich täglich 12 Stunden Dienst in der Bibliothek und gewann so zwei Studientage in Hamburg. Außerdem hatte ich den Sonntag zur Vorbereitung. Da mein Chef selbst auf diese Weise vorangekommen war, gab er mir diese ungewöhnliche Chance. Sie endete damit, dass ich bei den germanistischen Professoren in Hamburg Verdienstmöglichkeiten fand und so 1954 meine Stellung als Diplombibliothekar an der Landesbibliothek aufgeben konnte. Ich tat es nicht leichten Herzens, denn die Landesbibliothek war mein Leben geworden. Mit Dr. Fischer blieb ich bis zum Ende seines Lebens freundschaftlich verbunden. Er war mein Mentor, und jetzt werden Sie verstehen, weshalb ich an ihn erinnern wollte.
Seit 1987 befindet sich die Landesbibliothek in diesem so nobel restaurierten Hause, das ich für eines der schönsten Bibliotheksgebäude halte. Dr. Fischers Zeughaus hat längst eine andere Verwendung gefunden.

Herzlich bedanke ich mich für die schöne Auszeichnung, und ich danke dafür den anwesenden Vertretern der Deutschen Literaturkonferenz, ich bedanke mich bei meinem treuen Kollegen Georg Ruppelt für seine Laudatio und nicht zuletzt bei der Landesbibliothek, die übrigens mein Arbeitsarchiv nach meinem Tode übernehmen wird. Oldenburg ist meine bibliothekarische Heimat.

Paul Raabe

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